Stabil : Beweglich

Die Quadratur des Kreises gelingt der Rotatoren­manschette, dem Alleskönner im Schultergelenk.

PD Dr. Sepp Braun - Gelenkpunkt
Text: Sepp Braun

Stellen Sie sich die Schulterpfanne als kleinen flachen Unterteller vor und den Oberarmkopf als einen weit über den Tellerrand ragenden Ball. Die Sehnen der Rotatorenmanschettenmuskulatur umfassen diesen Ball und ziehen ihn fest auf den Teller. So erlaubt diese komplexe Konstellation von Muskeln und Sehnen einerseits die Bewegung des Armes beim Anheben nach vorne, hinten und zur Seite und zudem auch die Rotation im Schultergelenk. Daneben wird durch den stetigen Zug der Sehnen gewährleistet, dass der Ball, also der Oberarmkopf, fest und zentriert in der Mitte über dem Teller bleibt, in Ruhe, bei Bewegung des Armes, oder auch bei äußerer Krafteinwirkung, wie zum Beispiel bei einem Sturz.

 

Schultergelenk Anatomie - Knochen Foto: www.istockphoto.com / yodiyim
Schultergelenk Anatomie – Knochen
Foto: www.istockphoto.com / yodiyim

 

Die Rotatorenmanschette besteht aus vier Muskeln:

  • der Kräftigste: Subscapularis
  • der Bekannteste: Supraspinatus
  • der Unterschätze: Infraspinatus
  • der eher Unbekannte: Teres minor

Diese Muskeln umgeben den Oberarmknochen und bilden zusammen mit den umgebenden Sehnen eine Manschette, die den Kopf des Oberarmknochens (Humeruskopf) im Schultergelenk hält. Durch ihre koordinierte Kontraktion ermöglichen sie verschiedene Bewegungen des Armes, einschließlich Heben, Senken, Drehen und seitliches Wegführen des Armes vom Körper. Wenn der Arm bewegt wird, ziehen die Muskeln der Rotatorenmanschette gleichzeitig, unterschiedlich kräftig an den Sehnen, um den Humeruskopf fest in der Mitte der Gelenkpfanne zu halten. Diese Stabilisierung ist entscheidend, um eine normale und schmerzfreie Bewegung des Gelenkes zu ermöglichen und Verletzungen zu vermeiden.

Grund für Beschwerden an der Schulter ist häufig ein ungünstiger Bewegungsrhythmus, der zumeist durch eine Koordinationsstörung der Rotatorenmanschette ausgelöst wird.

Das Impingement-Syndrom

Diese Funktionsstörung führt dazu, dass das Schultergelenk nicht zentriert bewegt wird. Es kommt zu einer Kompression der Rotatorenmanschettensehnen zwischen dem Humeruskopf und dem Knochen des Schulterdachs. Die mechanische Reizung führt zu Entzündungen, Schmerzen und langfristig zu Schäden an den Sehnen. Physiotherapie, die die Kraft und Koordination der Muskel-Sehnenmanschette wieder herstellt, ist das Mittel der Wahl. In manchen Fällen kann auch eine Infiltration der Schulter die Therapie sinnvoll unterstützen. Eine Operation ist in der Regel nicht notwendig.

Schleimbeutelentzündung (Bursitis)

Zwischen der Rotatorenmanschette und dem Knochen des Schulterdaches liegt ein Schleimbeutel. Genaugenommen ist das kein „Beutel“, sondern eher eine bindegewebige Gleitschicht. Durch mechanische Einflüsse kann es in diesem Bereich zu Entzündungen kommen. Da eine Schleimbeutelentzündung in den allermeisten Fällen als Auslöser eine Funktionsstörung hat, ist nach der Diagnose (die z.B. Ein- oder Abrisse der Sehnen ausschließt) eine Behandlung wie beim Impingementsyndrom angebracht. Entzündungshemmende Schmerzmittel und Physiotherapie haben hier Ihre Domäne.

 

Kalkschulter

Durch Ablagerungen von Stoffwechselprodukten des Körpers kann es zu einer Verkalkung in den Sehnenansätzen der Rotatorenmanschette kommen. Häufig sind diese Kalkherde über eine lange Zeit stumm, d.h. sie verursachen keine Beschwerden. Ohne ersichtlichen Grund oder durch Bagatelltraumata können plötzlich Schmerzen und Bewegungseinschränkungen entstehen. In den meisten Fällen lässt sich eine Kalkschulter sehr gut konservativ, d.h. ohne Operation behandeln. Ab und zu kann die Therapie allerdings erst ergänzt durch eine Infiltration zur Schmerzbehandlung richtig durchgeführt werden. Die entzündliche Situation kann auch durch eine Stoßwellentherapie sehr gut beeinflusst werden. Invasivere Methoden bis hin zur OP sind nur angebracht, wenn konservative Methoden keine ausreichende Besserung bringen, oder wenn durch sehr große Kalkdepots extreme Schmerzen auftreten.

Frozen Shoulder

Die Frozen Shoulder beginnt mit einer anfangs kaum spürbaren Entzündungsreaktion der Gelenkkapsel. Dies führt schrittweise zu einer schmerzhaften Abnahme der Beweglichkeit. Die Frozen Shoulder kommt entweder ohne ersichtlichen Grund aus dem Nichts oder nach einer Verletzung oder Operation. Undankbar ist das Krankheitsbild deswegen, weil man die Beschwerden kaum aktiv beeinflussen kann. Weder entzündungshemmende Schmerzmittel noch Infiltrationen haben eine nachgewiesene Wirkung. Physiotherapeutisch wird bei der Frozen Shoulder nur sehr vorsichtig im schmerzfreien Bereich behandelt, ohne die Gelenkkapsel weiter zu reizen. Die gute Nachricht: Der Schmerz nimmt von selbst wieder ab und die Beweglichkeit kehrt zurück. Nur kann das leider viele Monate dauern.

Rotatorenmanschettenruptur

Eine Ruptur oder ein Riss in einer oder mehreren Sehnen der Rotatorenmanschette kann durch ein Trauma, bei einem Sturz oder Unfall passieren. Dabei wird der Arm zumeist verrissen und die Muskulatur spannt reflexartig stark dagegen. Das kann dann zu einem Riss führen. Aber auch ein direktes Anschlagen in ungünstiger Position kann zu einer Verletzung der Sehnen führen. Die Folge sind Schmerzen, Schwäche und Einschränkungen der Beweglichkeit im Schultergelenk.

Je nach Ausprägung der Verletzung muss zusammen mit einem erfahrenen Schulterexperten die Therapieentscheidung getroffen werden. Bei kleinen Verletzungen kann durch gezieltes Training der Muskulatur und deren Koordination ein guter Erfolg erzielt werden. Der Einriss verheilt zwar in aller Regel nicht, kann aber funktionell oft sehr gut kompensiert werden. Je nach Lage und Größe des Risses kann es jedoch sein, dass eine Kompensation recht unwahrscheinlich wird. Dann kann die Funktion erst wieder durch eine Rekonstruktion der Sehnenmanschette in einer Operation wiederhergestellt werden. Rotatorenmanschettenrisse können heute sehr effizient und schonend rein arthroskopisch versorgt werden. Neben der besseren Sicht für den Operateur in alle Abschnitte des Gelenkes, können Sehnen so auch technisch besser mobilisiert und präziser fixiert werden als in offenen Operationen. Nach einer Rekonstruktion verläuft die Heilung der Sehnen in zwei Phasen. Zunächst muss das Gelenk und die Sehnenmanschette mit einem Schultergurt geschützt werden. Dadurch kann die Sehne in Ruhe am knöchernen Ansatz anheilen. Das Gelenk wird in dieser Zeit rein passiv in der Physiotherapie mobilisiert. Nach dieser Phase wird es notwendig, die Sehnenmanschette zu aktivieren und langsam schrittweise zu belasten. Denn nur dadurch wird die Sehne, sowie der zugehörige Muskel, wieder stabil und belastbar. Am Ende der Heilungs- und Trainingsphasen kann dann wieder die gewohnte Vollbelastung erfolgen.