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(1)30 Jahre Gelenkersatz

Die Erfolgsgeschichte der Prothetik

DDr. Elisabeth Abermann, FA für für Orthopädie und TraumatologiePD Dr. Sepp Braun - GelenkpunktDr. Florian Dirisamer - Orthopädie und Sportchirurgie, Puchenau bei LinzA. o. Univ. Prof. Dr. Christian Fink - Genkpunkt
Text: DDr. Elisabeth Abermann und Sepp Braun und Florian Dirisamer und A.O. Univ. Prof. Dr. Christian Fink und Christian Patsch

Der Ersatz der großen Gelenke hat mittlerweile eine lange Tradition. Erste Versuche dazu wurden schon um 1890 durch den Berliner Chirurgen Themistokles Gluck unternommen. Er verwendete künstliche Kniegelenke aus Nickelstahl und Elfenbein, die mit Kolophonium und Gips im Knochen verankert wurden. Seine Bemühungen waren letztlich durch die verwendeten Materialien und hohe Infektraten nicht erfolgreich.

 

Das Elfenbeinknie von Gluck war als einfaches Scharnier konzipiert. (Bildquelle BMJ 1992; 305:1534-6) / John Charnley´s Hüftimpantat hatte bereits viele Merkmale, die auch bei modernen Hüftimplantaten noch zu finden sind.
Das Elfenbeinknie von Gluck war als einfaches Scharnier konzipiert. (Bildquelle BMJ 1992; 305:1534-6) / John Charnley´s Hüftimpantat hatte bereits viele Merkmale, die auch bei modernen Hüftimplantaten noch zu finden sind.

Es begann mit der Hüfte

Die Pionieren der Prothetik erkannten, bald dass die Hüfte als mechanisch einfacheres Gelenk für die Entwicklung der Methodik besser geeignet ist. Ab den späten 1930er Jahren wurden Hüftgelenke ersetzt. Anfangs wurde dabei die Gelenkpfanne nicht ausgetauscht, was zu erheblichen Komplikationen führte. Neben Metalllegierungen wurde auch mit anderen Materialien – u.a. Plexiglas oder Teflon – experimentiert. Der Verschleiß dieser Komponenten war enorm.

1951 führte Sir John Charnley Polyethylen als Werkstoff ein, die erste brauchbare Hüftprothese entstand. Ein ganz wesentlicher Entwicklungsschritt war auch die Einführung von Knochenzement. Dieser ist bis heute – mit Ausnahme der Beimengung von Antibiotika – quasi unverändert. Sein Konzept begründete letztlich den Aufschwung der Hüftprothetik ab Mitte der 1960er Jahre. Viele seiner Prinzipien werden heute noch angewendet. Die weitere Entwicklung betraf das Implantatdesign, bis hin zu den heute verwendeten Kurzschaftprothesen, und die eingesetzten Materialen. Titan (rein oder als Legierung) ist heute das Standardmaterial für die Metallkomponenten, die Gleitkomponenten (Kopf und Inlay) werden heute bevorzugt aus hochvernetztem Polyäthylen und Keramik gefertigt.

 

Dann kam das Knie

Basierend auf den Erfahrungen mit der Hüfte wurde 1951 die erste Knieprothese (Stahllegierung) erfolgreich implantiert. Die achsgekoppelten Modelle entsprachen nicht annähernd der natürlichen Kniegelenksmechanik und es gab Probleme mit der Haltbarkeit. Die ersten sogenannten Oberflächenersatz-Implantate, der heutige Standard, wurden parallel von verschiedenen Entwicklern im Laufe der 1980er Jahre eingeführt und begründeten den Start der modernen Knieendoprothetik. Die Weiterentwicklung bestand im Wesentlichen darin, dass die Designs immer natürlicher, variantenreicher und individueller wurden. Durch Anpassungen beim verwendeten Polyäthylen (Zugeben von Radikalfängern, Optimierung des Sterilisationsprozesses) konnte die Haltbarkeit dieser Komponenten massiv verbessert werden. Zirka 95% der Knieimplantate werden heute mit Knochenzement fixiert.

„Darf ich mit einem neuen Knie Schi fahren?“ hieß es früher. „Wann kann ich wieder Schi fahren?“ heißt es heute.

Die Ansprüche, welche Aktivitäten und Sportarten von Patienten mit Kniegelenksprothesen ausgeübt werden möchten, sind massiv gestiegen. Schmerzfreies Spazieren und den Alltag bewältigen war in den 90iger Jahren vorrangig – jetzt geht’s um Bergsteigen, Schifahren oder Golfen, aber auch Kiten, Klettern oder Snowboarden. Objektiv evaluiert (postoperativer Bewegungsumfang, Stabilität und Funktionalität) sind die Ergebnisse deutlich besser als in den 90-igern. Subjektiv (Patientenzufriedenheit) sind die Unterschiede nicht mehr so deutlich. Das Ergebnis korreliert mit der Erwartungshaltung des Patienten und die ist, wie auch in anderen Bereichen der Medizin, massiv gestiegen. Die Patienten werden nicht nur anspruchsvoller, sondern auch jünger. Dies stellt nicht nur neue Anforderungen an die Funktion der Prothese, sondern auch an das Material, das ebenfalls ganz wesentlich die Belastbarkeit von Prothesen beeinflusst.

 

Knietotalendo­prothese mit konventionellen Instrumenten / 3 D-Planung einer Prothese
Knietotalendo­prothese mit konventionellen Instrumenten / 3 D-Planung einer Prothese

Neue Wege zum neuen Knie

Die Konzepte, wie Knieprothesen implantiert werden, haben sich in den letzten Jahren intensiv weiterentwickelt. Fast über 30 Jahre hatte sich der standardisierte Einbau einer Knieprothese („Mechanisches Alignement“) bewährt, vor allem was die Haltbarkeit betrifft. Dabei wird aber die individuelle Anatomie des Patienten „standardisiert“ und per se keine natürliche Gelenkslinie rekonstruiert, was zu einem „hölzern“ erscheinenden Gang führen kann.

Neuere Konzepte versuchen, die Prothese mehr der individuellen Anatomie anzupassen. „Anatomisches Alignement“, „Kinematisches Alignement“ und „Funktionelles Alignement“, d.h. dem ursprünglichen, nicht durch Arthrose verändertem Knie, möglichst nahe zu kommen, beherrschen die Diskussion unter Experten.

Die Frage, ob Fehlstellungen die durch Arthrose hervorgerufen wurden (z.B. starkes O oder X Bein), immer auf ein völlig gerades Bein korrigiert werden sollten oder ein leichtes O Bein (auch bei gesunden Männern häufig) oder ein leichtes X Bein (bei Frauen häufiger) belassen werden sollte, ist noch nicht endgültig beantwortet. Die operative Präzision wird seit 2000 durch die Navigation erhöht. Jetzt kommt die präoperative Planung zum Einsatz, mit individuell angepassten Schnittschablonen die anhand von CT oder MR Bildern angefertigt werden. Roboter- unterstützte Techniken sind im Vormarsch. Dies alles garantiert größtmögliche Präzision. Während mit konventionellen Instrumenten beim erfahrenen Operateur eine Genauigkeit von +-2-3 Grad erreicht werden kann, liegt dies etwa bei roboterunterstützten Techniken bei etwa +-1 Grad.

Spezielle Computerprogramme erlauben, die Prothesenteile virtuell zwei- und dreidimensional „einzusetzen“ und unterschiedliche Positionierungen „durchzuspielen“, Ziel ist, dass die Funktion, dem ursprünglichen, nicht durch Arthrose veränderten Knie entspricht. Auch mit individuell für den Patienten angefertigten Prothesen aus dem „3 D Drucker“ wurde inzwischen begonnen.

Ob der Einsatz kostspieliger Technik notwendig und sinnvoll ist (Verlängerung der Operationszeit, Komplikationsrisiko durch technische Probleme) und wie groß langfristig die Vorteile sind muss im Einzelfall immer abgewogen werden.

Keine der genannten Entwicklungen kann aber die chirurgische Expertise ersetzen. Die exakte Umsetzung einer präoperativen Planung ist das eine, die Ausrichtung der Komponenten im Knochen gelingt mit diesen Methoden sehr präzise. Wir Chirurgen müssen überdies dem Implantat den Weichteilrahmen für eine optimale Funktion verschaffen. Dazu brauchen wir unseren Tastsinn, unser Gefühl und viel Erfahrung.

Auch als erfahrener Operateur kann man sich den neuen Techniken nicht verschließen. Die gewohnte Routine, seine „Komfortzone“, zu verlassen, ist fordernd und anstrengend, ist aber nötig, um das operative Niveau zu halten. Die kritische Evaluierung und wissenschaftliche Aufarbeitung der Ergebnisse ist unabdingbar. Nur so kann sich die Medizin weiterentwickeln.

„Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich es viel früher gemacht“

Diesen Satz hört man oft. 80% sind mit dem Eingriff „sehr zufrieden“, 10% fühlen sich gebessert, aber nicht im erwarteten Ausmaß und 10% sind nicht zufrieden. Diese Zahlen spiegeln die Ergebnisse fast aller internationalen Zentren, die eine hohe Anzahl von Patienten versorgen, wider. Eine Analyse der letzten 500 Patienten mit Knieprothese aus unserer eigenen Datenbank bestätigt diese Zahlen ebenso.

Trotz aller Fortschritte, leichtfertig sollte man sich nicht für einen prothetischen Eingriff entscheiden. Ein „Leidensdruck“ in Form einer wirklichen Beeinträchtigung der Lebensqualität durch Schmerz und Funktionseinschränkung muss gegeben sein. Außerdem sollten wirklich alle konservativen Maßnahmen wie Physikalische Therapien, Injektionen (z.B. Hyaluronsäure) und auch eine Modifikation der sportlichen Belastungen ausgeschöpft sein, denn es gibt leider keine 100%ige Erfolgsgarantie. Zusammenfassend kann man sagen, dass knieprothetische Eingriffe zu den, für den Patienten lohnendsten, chirurgischen Eingriffen zählen.

 

Erfolgs­geschichte Hüftgelenks­prothese

Kaum ein anderer Eingriff wird in so großer Zahl, mit so großem Erfolg durchgeführt, wie der Ersatz des zerstörten Hüftgelenks. Die Anzahl an Patienten, die auf Grund des guten Ergebnisses fast „vergessen“ am Gelenk operiert worden zu sein, ist bei keinem anderen Gelenkseingriff so hoch. Aktuell sind 98% der implantierten Prothesen nach 10 Jahren immer noch problemlos, ohne Lockerung, in Funktion. Diese Zahl erlaubt also wenig Luft nach oben für Verbesserungen. Die Einführung des sogenannten „Kurzschaftes“ hat in den letzten Jahren für besonderes Aufsehen gesorgt. Neben seiner, wie der Name schon sagt, Kürze, ist er besonders anatomisch geformt. Dies erlaubt eine sehr schonende Implantation, die die Muskulatur nur in geringem Ausmaß beeinträchtigt. Hauptfaktor einer „minimal invasiven“ Operationstechnik ist die Schonung der inneren Gewebeschichten und nicht so sehr, der sicherlich auch angenehme, kleinere Hautschnitt. Vor allem in der Frühphase nach der Operation benötigen die Patienten weniger Schmerzmittel und sind früher selbstständig.

War bislang ein großer Teil der postoperativen Physiotherapie der Wiederherstellung der Muskelfunktion gewidmet, so geht nun die Reha schneller vonstatten. Diese Vorteile gegenüber der herkömmlichen Operationsmethode mit „normalen“ Schäften – „Langschäfte“ kommen nur bei Wechseloperationen zum Einsatz – betreffen vor allem die ersten 3 Monate nach dem Eingriff, gleichen sich dann sukzessive wieder an, und nach etwa 6 Monaten besteht weder bei der klinischen Untersuchung noch im subjektiven Empfinden ein wesentlicher Unterschied. Es gibt auch Nachteile, die man nicht verschweigen darf. Langzeitdaten über die Haltbarkeit von Kurzschäften fehlen derzeit noch. Kurz- und mittelfristige Daten lassen annehmen, dass auch Kurzschäfte ähnlich gute Langzeitdaten liefern werden. Da die Schäfte eine geringere Kontaktfläche mit dem Knochen haben, fallen potentielle beginnende Lockerungsprozesse natürlich mehr ins Gewicht.

Kurzschäfte können nicht bei allen anatomischen Gegebenheiten angewendet werden. Posttraumatische Fehlstellungen, Beinlängendifferenzen oder andere anatomische Varianten erfordern meist den Einsatz von konventionellen Implantaten. In jedem Fall wird bei fortgeschrittener Arthrose die Hüfttotalendoprothese die Lebensqualität der Patienten beträchtlich verbessern können.

 

Schulterprothetik

Schon 1893 implantierte der französische Chirurg J. P. Pean einem Tuberkulose Patienten die erste Schulterendoprothese, gefertigt vom Zahnarzt Michaels aus Platin und Hartgummi. Zwei Jahre später musste sie wegen unkontrollierbarer Infektionen wieder entfernt werden. Der Schritt zur modernen Schulterendoprothetik vollzog Charles S. Neer 1951 mit einer Prothese aus Vitallium. Der eigentliche Quantensprung kam 1983 durch das geniale Konzept von Paul Grammont, der die inverse Schulterprothese entwickelte. An der Schulterpfanne wird eine Halbkugel und am Oberarm eine schalenartige Pfanne fixiert. In den letzten 40 Jahren fand eine kontinuierliche Weiterentwicklung in kleinen Schritten statt bis hin zur heutigen dreidimensional animierten Planung der Operation am Computer.

Es stellt sich natürlich die Gegenfrage, wann man denn „alt genug“ oder noch „nicht zu alt“ für eine Prothese sei. In der modernen Endoprothetik gibt es letztendlich kein zu jung oder zu alt, sondern nur eine Entscheidung die sich am Problem orientiert. Wie ausgeprägt sind die Beschwerden und die Einschränkungen des täglichen Lebens oder der Aktivitäten durch Schmerz und Funktionseinbußen? Diese Frage kann nur die PatientIn für sich selbst beantworten. Spezialisierte Ärzte können dann beraten, ob eine Rekonstruktion, also ein Erhalt des Gelenkes, sinnvoll und mit guter Erfolgsaussicht machbar ist, oder nicht. Dafür gibt es gut nachvollziehbare und transparente Kriterien. Dennoch können ab und an Grenzsituationen die Entscheidung erschweren.

Selbstverständlich müssen persönliche allgemeine Risikofaktoren für eine größere Operation berücksichtigt werden. Wenn nach sorgfältiger Erhebung, Bewertung und Abwägung aller Befunde als Lösung nur ein Gelenkersatz in Frage kommt, sollte sich die Entscheidung für oder wider an der eingangs gestellten Frage nach den Beschwerden orientieren. Sind die Voraussetzungen gegeben, kann die moderne Schulterendoprothetik heute exzellente klinische Ergebnisse mit einer ausgesprochen hohen Zufriedenheit der Patienten erreichen. Dadurch kann die Lebensqualität relevant verbessert werden und sogar viele sportliche Aktivitäten werden wieder möglich. Die Haltbarkeit von Prothesen geht vielfach in den Bereich von über 20 Jahren. Damit wird auch die Überlegung nachvollziehbar, dass es absolut sinnvoll ist im Jetzt und Heute Beschwerden zu lindern und Aktivität wieder herzustellen und nicht im „besten Alter“, nämlich dem aktuellen, diese tatenlos hinzunehmen und auf bessere Zeiten in der ferneren Zukunft zu warten. Es gibt kein „zu jung“ oder „zu alt“ für einen Gelenkersatz, sondern nur ein „zu viel Beschwerden“ für keinen Gelenkersatz.