Teamarbeit im Gelenksapparat

Die Wirbelsäule als „Standbein“ für die Schulter

Dr. Pierre-Pascal Girod Facharzt für Neurochirurgie
Text: Dr. Pierre-Pascal Girod, Facharzt für Neurochirurgie

In der aktuellen Ausgabe von Leben à la Carte steht die Schulter im Mittelpunkt. Doch wer glaubt, die Schulter arbeite als Einzelkämpferin, irrt gewaltig. Unser Bewegungsapparat funktioniert nur im Team: Muskeln, Nerven, Gelenke und vor allem die Wirbelsäule müssen reibungslos zusammenspielen. Im Interview mit Dr. Pierre-Pascal Girod, Facharzt für Neurochirurgie, klären wir, welche Verbindungen bestehen, was passieren kann, wenn es hakt – und wann fachärztliche Hilfe gefragt ist.

Wie ist die Schulter mit der Wirbelsäule verbunden?

Es gibt keine direkte knöcherne Verbindung, nur eine indirekte über das Schlüsselbein, aber zahlreiche kräftige Muskeln die das Schulterblatt mit dem Brustkorb, dem Hinterhaupt und der Hals-und Brustwirbelsäule verbinden. Von dort aus treten Nervenwurzeln aus und bündeln sich zum sogenannten Plexus brachialis, einem komplexen Nervengeflecht, das Schulter, Arm und Hand versorgt.

Welche Störungen gibt es im Zusammenspiel zwischen Schulter, oberen Extremitäten und Wirbelsäule?

Die sogenannte Cervicobrachialgie – das Schulter-Arm-Syndrom – ist ein häufiges Schmerzbild, das oft durch rein muskuläre Verspannungen, aber auch durch Pathologien der Halswirbelsäule oder selten Kompressionssyndrome von peripheren Nerven verursacht wird. Differentialdiagnostisch müssen aber auch Störungen im Bereich der Schulter in Betracht gezogen werden. Bandscheibenvorfälle an der Halswirbelsäule, die Druck auf die austretenden Nerven ausüben, können Schmerzen, Taubheitsgefühle oder sogar Lähmungen in Schulter, Arm und Handbereich verursachen. Ebenso problematisch ist eine Spinalkanalstenose, ursächlich sind meist breitbasige Bandscheibenvorwölbungen bzw. knöcherne Anbauten, die zu einer Verengung des Wirbelkanals führen. Dies verursacht Beschwerden in Armen und Händen, z. B. Feinmotorik- Störungen und Schwäche. Die Kompression des Rückenmarks kann ein unsicheres Gangbild zur Folge haben, im Extremfall Gangunfähigkeit mit Blasen-Mastdarmentleerungsstörung. Es gibt allerdings auch andere seltene Störungen, z. B. das Thoracic-Outlet-Syndrom, wo es zu einer Kompression der Blutgefäße in den Arm kommt, die zu Schmerzen führt.

Wie erkennt man diese Störungen?

Grundlage jeder Diagnostik ist die Anamnese, in der die individuelle Schmerzgeschichte erfasst wird. In der anschließenden klinischen Untersuchung betrachtet der Arzt bzw. die Ärztin Haltung und Beweglichkeit, prüft Reflexe und Kraft und achtet auf Missempfindungen und prüft das Gangbild. Diese Befunde geben oft schon erste Hinweise auf den Ort der Störung. Für eine genauere Diagnose kommt meist ein MRT der Halswirbelsäule zum Einsatz. Ergänzend können elektrophysiologische Untersuchungen oder die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit durchgeführt werden. Diese Tests geben Aufschluss über das Ausmaß einer etwaigen Nervenschädigung.

Bei welcher Form von Schmerzen ist es ratsam, die Neurochirurgie hinzuzuziehen?

Bei therapieresistenten Schmerzen, bzw. wenn Anzeichen einer Nervenschädigung auftreten. Das ist insbesondere der Fall, wenn Schmerzen in Arm oder Hand ausstrahlen und eventuell dabei von Taubheitsgefühlen, Kribbeln oder gar einem Verlust der Muskelkraft begleitet werden. Auch wenn plötzlich feinmotorische Fähigkeiten nachlassen – etwa, wenn Gegenstände häufiger aus der Hand fallen – oder wenn Lähmungserscheinungen auftreten. Störungen der Blasen- oder Darmentleerung sind ein Notfall und erfordern sofortige Abklärung.

Die Schulter hängt anatomisch wie funktionell an der Wirbelsäule – wenn dort etwas klemmt, zwickt es oft in der Schulter. © 3dMediSphere
Die Schulter hängt anatomisch wie funktionell an der Wirbelsäule – wenn dort etwas klemmt, zwickt es oft in der Schulter. © 3dMediSphere