Hightech für die Schulter
3D Planung optimiert Präzision und Ergebnissicherheit in der Schulterendoprothetik

Häufig hört man, die Schulter sei das komplizierteste Gelenk des Körpers. In gewisser Weise mag das stimmen, da die „normale“ Schulterfunktion auf einer Balance zwischen Stabilität und Beweglichkeit basiert. Diese ausgeglichenen Kräftepaare der Muskulatur ermöglichen zusammen mit den Kapsel-Band-Strukturen eine stabile und zentrierte Führung des Gelenkes, das seitens der knöchernen Gelenkführung eher sehr locker ist. Dieses Gleichgewicht ist ein schmaler Grat, den das komplexe Gelenk, leider nicht selten, durch akute Verletzungen oder aber auch schleichenden Verschleiß verlässt. Die Folge sind Schmerzen und häufig ganz erhebliche Funktionseinschränkungen.
Je nach Situation kann durch gezieltes Training mit kompetenten PhysiotherapeutInnen eine Kompensation oder sogar eine ursächliche Lösung des beschwerdeauslösenden Problems erreicht werden. Wenn jedoch strukturelle Schäden, zum Beispiel an der Muskel-Sehnen-Manschette um den Oberarmkopf (sogenannte Rotatorenmanschette) ein bestimmtes Maß überschreiten, muss häufig eine operative Rekonstruktion diskutiert werden, um die Funktion wieder herstellen zu können.
Die Muskulatur der Rotatorenmanschette der Schulter steht auch im Ruhezustand, also auch zum Beispiel beim Schlafen oder beim entspannten Sitzen immer unter Spannung. Der konstante Zug der Rotatorenmanschette hält so in jeder Situation den Oberarmkopf von allen Seiten fest in seiner Position. Und jetzt kommt der Haken an diesem ausgeklügelten System: Wenn die Sehne vollständig abreißt, dann zieht sich der Muskel wegen der Vorspannung zusammen und damit das Sehnenende von seinem Ansatz am Knochen weg. Wenn diese Situation nun längere Zeit besteht, ist leicht nachzuvollziehen, dass der Muskel nicht mehr normal arbeiten kann – er zieht ja nicht mehr am Knochen, um diesen zu bewegen. Das bedeutet, der Muskel wird nicht trainiert. Die Folge ist logisch, das Muskelvolumen nimmt ab. Zudem erweitert sich dann der Raum zwischen den Muskelfasern, die an der Sehne hängen. In diesen erweiterten Raum lagert sich dann langfristig Fett ein, wodurch ein Zusammenziehen des Muskels quasi blockiert wird. Einfach gesagt, der Motor Muskel geht kaputt und kann, wenn dieser Prozess weiter fortgeschritten ist, auch nicht mehr aktiviert werden. Daraus ergibt sich, dass auch chirurgisch eine Reparatur der Rotatorenmanschette leider häufig zu keinem Erfolg führen würde.
Betroffene Patienten können aber zum Teil erhebliche Beschwerden, Schmerzen und Funktionseinschränkungen haben, wenn die Rotatorenmanschette ihre zentrierende stabilisierende Funktion nicht erfüllt.

Geplante Innovation
Aus dem Gesagten ergibt sich, warum gerade an der Schulter der Gelenkersatz einen sehr hohen Stellenwert hat. Durch Prothesen können nicht nur ein schmerzhafter Verschleiß des Gelenkknorpels (Arthrose), sondern auch Funktionseinschränkungen durch irreparable Sehnenverletzungen mit hervorragenden Ergebnissen behandelt werden.
Im Fall der reinen Arthrose, werden sogenannte anatomische Prothesen zum Einsatz gebracht, bei denen nur die verschlissenen Gelenkanteile „ausgetauscht“ werden. Diese Art des Gelenkersatzes bedarf allerdings einer vollständig funktionsfähigen Rotatorenmanschette zur Stabilisierung.
Risse der Rotatorenmanschette sind jedoch mitunter die häufigsten Verletzungen, sei es durch einen direkten Unfall oder aber auch durch Abnutzung. Wenn diese Risse mit der Zeit immer größer werden, was der natürliche Verlauf ohne Behandlung ist, setzt durch eine nicht mehr zentrierte Führung (Stichwort: Imbalance der Kräftepaare der Rotatorenmanschette) auch zunehmend der Verschleiß des Gelenkknorpels ein. Durch die Dezentrierung kommt es dann häufig zum „Einschleifen“ der Gelenkpartner, also einer Verformung der eigentlichen Anatomie. Diese Situation nennt sich Cuff-Arthropathie (englisch: RotatorCUFF = Rotatorenmanschette). Dies ist ein der Schulter eigenen Krankheitsbild, das nicht aus einer eigentlichen Arthrose, sondern aus Defekten der Rotatorenmanschette entsteht.
Die sogenannte inverse Schulterprothese vertauscht bei der Implantation den Oberarmkopf und die Pfanne. Das Gelenk wird sozusagen umgedreht. Auf diese Idee kam in den 80er Jahren ein französischer Chirurg namens Grammont. Der Grundgedanke war, den Oberarm auch bei nicht mehr funktionstüchtiger Rotatorenmanschette in einer zentrierten Position zu halten und dadurch über den sehr kräftigen Schulterkappenmuskel (Deltamuskel) eine schmerzfreie Bewegung des Armes zu erlauben. Inzwischen ist dieses bahnbrechende Konzept in vielen Evolutionsstufen weiterentwickelt und verfeinert worden. Intensive biomechanische Untersuchungen haben gezeigt, dass durch eine Verlagerung des Drehpunktes nach außen und eine steilere Stellung der am Oberarm befestigten schalenartigen Pfanne eine noch bessere Funktion erreicht werden kann. Jede Prothese sollte vor einer Operation virtuell dreidimensional geplant werden, um die genaue individuelle Position der Implantate zu berechnen und damit die idealen Kraftvektoren für eine optimale Funktion zu erreichen.
Durch die sehr schnell erreichbaren überzeugend guten Ergebnisse und die lange Haltbarkeit hat die inverse Prothese in den letzten 10 Jahren massiv an Bedeutung gewonnen.
3D-Planung für höchste Präzision
Die Verbesserung in allen Bereichen liegt einerseits an den weiterentwickelten Designs der Prothesen selbst, aber ganz wesentlich auch an dem sehr viel detaillierteren Verständnis der Biomechanik des Gelenks und der daraus abgeleiteten Notwendigkeiten für die Positionierung der Prothesenkomponenten. Aus diesem Grund hat es sich heutzutage fest etabliert, eine Prothese vor der Operation in einem dreidimensionalen Computer-Modell zu planen. Dies erlaubt schon vor der eigentlichen Operation im Modell die perfekte Position und deren zu erwartende Funktion durchzutesten. Dadurch lassen sich gerade anatomisch schwierige Situationen bereits vorab identifizieren und durch den Operateur Lösungsstrategien entwickeln – schon bevor es in den Operationsaal geht. Anhand eines Dünnschicht-CTs wird ein hochauflösendes 3D Modell der zu planenden Schulter angefertigt.
Anhand dieses virtuellen Modells wird die Prothesenbasis und der Anteil am Oberarm in der Position und Größe geplant. Die biomechanischen Erkenntnisse der letzten Jahre können so geplant und dann die Funktion der Planung virtuell getestet werden. Bei der Planung wird zur Optimierung der Funktion die Körperhaltung des Patienten berücksichtigt, da zum Beispiel eine nach vorne gekippte Schulterblattposition bei einem Rundrücken die relative Lage und Beweglichkeit des Armes wesentlich beeinflusst.
Um nun die optimale 3D Planung auch in der Operation umsetzen zu können, wird aus dem virtuellen Modell ein Koordinatensatz herausgerechnet, der auf ein Zielgerät übertragen wird. Dies erlaubt dann in der Operation die Prothese mit höchster Präzision genauso wie vorgeplant zu implantieren. Durch diese technischen Innovationen hat sich in der Schulterendoprothetik in den letzten Jahren eine beeindruckende Verbesserung des Operationsablaufes, der Präzision der Operation und deren Ergebnissicherheit erzielen lassen.
Durch die Planung und die Verwendung der individuellen patientenspezifischen Zielgeräte können anspruchsvolle anatomische Situationen bereits vorab erkannt und planerisch gelöst werden. So werden die Risiken und Komplikationsmöglichkeiten deutlich minimiert und mit wesentlich höherer Sicherheit ein sehr gutes funktionelles Ergebnis erzielt.
An der Schulter ist also nicht der reine Verschleiß des Gelenkknorpels, sondern vor allem auch eine Defektsituation an der Rotatorenmanschette der häufigste Grund einen Gelenkersatz durchzuführen. Die Innovationen der letzten Jahre, die auf dem immer besser werdenden Verständnis der Biomechanik des ursprünglichen Gelenkes, aber auch der Anforderungen an den Gelenkersatz entwickelt wurden, erlauben heutzutage exzellente funktionelle Ergebnisse und eine sehr gute langfristige Haltbarkeit des Gelenkersatzes.

