Auf den Kopf gestellt

Rehabilitation nach inverser Schulterprothetik


Text: Jasmin Plöckinger
Ab der 5. Woche: Frontziehen
Ab der 5. Woche: Frontziehen
Die Bedeutung einer gut funktionierenden Schulter wird vielen Menschen erst bewusst, wenn Beschwerden oder Einschränkungen auftreten. Aufgrund ihrer geringen knöchernen und gleichzeitig großen muskulären Stabilität ist die Schulter anfällig – bereits kleine Verletzungen oder Dysfunktionen einzelner Muskeln können dazu führen, dass sie nicht mehr gut zentriert ist. Schmerzen und Einschränkungen beim Heben des Arms sind häufig die Folge. Bleiben diese Probleme unbehandelt, kann es im Laufe der Zeit zu Abnützungserscheinungen kommen.
Generell sind Abnützungen unserer Gelenke im Laufe des Lebens nahezu unumgänglich, und auch die Schulter bleibt davon nicht verschont. Wenn die Funktionseinschränkung und die Schmerzen jedoch den Alltag dominieren und konservative Therapien keinen nachhaltigen Erfolg bringen, ist der Zeitpunkt gekommen, sich mit einem Orthopäden über den möglichen Einsatz einer Totalendoprothese zu unterhalten – wie man sie beispielsweise von der Hüfte oder dem Knie kennt. Das Ziel einer Totalendoprothese ist eine gute Alltagstauglichkeit mit weitgehender Schmerzfreiheit, viele Sportarten sollen ohne Probleme möglich sein.
Bei der inversen Schulterprothetik werden Gelenkspfanne und Gelenkkopf vertauscht. Das Gelenk wird sprichwörtlich auf den Kopf gestellt. Das verändert die Biomechanik grundlegend. Der starke Deltamuskel übernimmt die Funktion der defekten Rotatorenmanschette. Dies ist ein wesentlicher Punkt in der Rehabilitation, durch den sich die Therapie und vor allem das Training nach einer inversen Schulterprothese, im Gegensatz zu jeder anderen Schulterverletzung/-operation, deutlich unterscheidet.

Woche 1–4

Die ersten Wochen stehen ganz im Zeichen der Ruhigstellung und Schmerzreduktion. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Schulter nicht bewegt werden darf. Aktiv-assistierte bzw. geführte Bewegungen dürfen nämlich sofort durchgeführt werden – allerdings nur so weit, wie es schmerzfrei möglich ist. Dies ist ein bedeutender Vorteil für Durchblutung und Wundheilung, im Vergleich zur vollständigen Ruhigstellung. Diese Bewegungen werden mit einem Physiotherapeuten ausgeführt und können zu Hause mit einem Stab/Seil erfolgen. Ein Schulter-Arm-Verband soll die Schulter während der ersten vier Wochen vor ruckartigen Bewegungen und Überlastung – insbesondere nachts – schützen. Pendelübungen in leicht vorgebeugter Position wirken entlastend auf das Schultergelenk.
In dieser frühen Phase werden bereits Aktivierungsübungen für die Schulterblattmuskulatur erlernt. Eine gute Führung und Fixation des Schulterblatts am Rumpf ist für die Funktion des Schultergelenks von besonderer Bedeutung. Zusätzlich wird in der Therapie die Narbenpflege durchgeführt, die umgebende Muskulatur behandelt sowie – falls notwendig – die Beweglichkeit in benachbarten Gelenken wie der Brustwirbelsäule verbessert. Lymphdrainagen sowie aktive Bewegungen der Finger, Hände und Ellbogen unterstützen die Wundheilung und Schwellungsreduktion. Zu vermeiden sind in dieser Phase: eine forcierte passive Außendrehung, aktive Innendrehung gegen Widerstand, Heben, Tragen, Autofahren sowie sportliche Aktivitäten.
Mobilisation Schultergelenk / assistives Bewegen mit Seil
Mobilisation Schultergelenk / assistives Bewegen mit Seil

Woche 5–6

Ab der 5. postoperativen Woche darf der Schulter-Arm-Verband, sofern vom Arzt nicht anders verordnet, weggelassen werden. Aktive Bewegungsübungen dürfen ohne Limitierung durchgeführt werden, jedoch nach wie vor nur im schmerzfreien Bereich, um Überlastungen zu vermeiden. Die Freigabe zum Autofahren erfolgt innerhalb der nächsten zwei Wochen.
Der Deltamuskel, der zum Heben des Armes benötigt wird und das künstliche Gelenk nun während Bewegung zentriert, wird in verschiedenen Ausgangspositionen (Stand, Seitenlage, Rückenlage) aktiviert, vor allem zu Beginn ist das Heben des Armes oft in Seiten- oder Rückenlage leichter durchführbar als im Stehen. Die aktive Außendrehung der Schulter im Stehen oder in Seitenlage wird vermehrt geübt, sowohl statisch (Anspannen der Muskulatur ohne Bewegung im Gelenk) als auch dynamisch.
Zu diesem Zeitpunkt wird weiters begonnen, die Schulterblattmuskulatur stärker zu belasten und in ein progressives Krafttraining dieser Muskelgruppe einzusteigen. Eine Auswahl an grundlegenden Übungen mit Wiederholungs- und Satzzahlen ist nachfolgend dargestellt. Voraussetzung ist aber immer, dass die Übungen keine Schmerzen im Schultergelenk auslösen.
Übungen 5–6 Woche
  • Frontziehen (siehe Seite 18)
  • Dips gestreckt
  • Serratus-Push (stehend oder in Rückenlage mit Zusatzgewicht)
  • Bankdrücken gestreckt am Gerät
  • Rudern gestreckt am Gerät oder in Bauchlage mit Kurzhanteln
  • Schulterheben mit Zusatzgewicht
15–20 Wiederholungen / 3–5 Sätze / 3x pro Woche
Mittels manueller Techniken und Weichteiltechniken wird laufend weiter an der Beweglichkeit des Schultergelenkes gearbeitet. Alltagstätigkeiten können zu diesem Zeitpunkt oft schon wieder gut bewältigt werden.
Brustpass beidarmig / Rudern / Schrägbankdrücken / Seitheben
Brustpass beidarmig / Rudern / Schrägbankdrücken / Seitheben

Woche 7–10

Nach Abschluss der ersten sechs Wochen beginnt die Phase des fortschreitenden Belastungsaufbaus. Das bedeutet, dass die Trainingsintensität erhöht werden darf – stets angepasst an die individuelle Schmerz- und Belastungstoleranz. Schulterübungen für den Deltamuskel und die verbliebenen Anteile der Rotatorenmanschette können nun, sofern schmerzfrei möglich, mit leichten Zusatzgewichten durchgeführt werden. Parallel dazu werden die isolierten Übungen für die Schulterblattmuskulatur schrittweise durch komplexere, funktionelle Übungen ersetzt, die die gesamte Rumpf-Schulter-Arm-Kette einbeziehen.
Ziel ist es, die Bewegungen alltags- und sportnah vorzubereiten und die Muskulatur gesamtheitlich zu kräftigen. Nachstehend eine Auswahl an Übungen für diese Trainingsphase.
Übungen 7-10 Woche
  • Rudern
  • Latzug
  • Bankdrücken
  • Schrägbankdrücken
  • Face Pulls
  • Fliegen in Bauchlage
  • Frontheben
  • Seitheben
  • Liegestütz erhöht oder kniend
  • Unterarmstütz
  • Seitstütz erhöht oder kniend
15–20 Wiederholungen, Unterarmstütz und Seitstütz 40 Sekunden halten / 3–5 Sätze / 3x pro Woche

Ab Woche 11

Regenerative und mobilisierende Maßnahmen werden weiter durchgeführt. Ist der erste Trainingsblock im Kraftausdauerbereich erfolgreich und ohne Beschwerden abgeschlossen worden, wird das Krafttraining intensiviert. Nun beginnt die Phase des gezielten Muskelaufbaus (Hypertrophie). Die Gewichte werden gesteigert, während die Wiederholungszahl reduziert wird. Parallel werden komplexere und belastendere Übungen integriert, um die Belastbarkeit weiter zu erhöhen.

Übungen ab Woche 11

  • Schulterdrücken
  • Liegestütz
  • Überzüge am Seilzug
8–12 Wiederholungen / 3–5 Sätze / 3x pro Woche
Nach mehreren reizfreien Trainingsblöcken im Kraftausdauer- und Muskelaufbaubereich kann zusätzlich mit Schnellkraftübungen begonnen werden. Diese sind funktionell besonders relevant – etwa zur Verletzungsprophylaxe oder zur Rückkehr in sportliche Belastungen. Hierbei liegt der Fokus auf einer explosiven Bewegungsausführung.

Übungen ab Woche 11 / Teil 2

  • Liegestütz explosiv
  • Reißen
  • Brustpass beidarmig/einarmig
  • Werfen von unten beidarmig/einarmig
  • Werfen von oben beidarmig/einarmig
6–8 Wiederholungen / 3–5 Sätze / 3x pro Woche
In der Schulterrehabilitation ist die individuelle Abstimmung der Maßnahmen von zentraler Bedeutung, da sich Schmerzsituation, Heilungsverlauf und Belastbarkeit bei jedem Patienten unterschiedlich entwickeln. Die Progression in der Therapie bzw. im Training und die jeweiligen Sportfreigaben erfolgen am besten immer in Abstimmung mit dem Physiotherapeuten und dem behandelnden Arzt.

Fazit

Die Rehabilitation nach einer inversen Schulterprothese ist ein mehrstufiger Prozess, der Geduld, Disziplin und gezieltes Training erfordert. Mit der richtigen Mischung aus Beweglichkeit, Kräftigung und funktioneller Integration ist es möglich, ein hohes Maß an Schmerzfreiheit und Funktion zu erreichen.
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