Leben a la Carte 0223

Neuigkeitsgrad

Therapie nach Kreuzband­operation

Stefan Mair
Text: Stefan Mair

Wie bereits von Prof. Dr. Christian Fink beschrieben, entwickeln sich die operativen Möglichkeiten stetig weiter. Auch wir in der Physiotherapie sind gefordert, die Rehabilitation an neue Erkenntnisse wissenschaftlicher Forschung anzupassen.

Prinzipiell gilt, es muss stets ein individueller Rehabilitationsplan erstellt werden, abhängig von der Sehnentransplantatwahl und eventuell vorhandener Zusatzpathologie. Fällt die Wahl des Operateurs auf die Quadrizeps- bzw. Patellasehne, so muss hinsichtlich Belastung und Schmerzprovokation, am Beginn der Therapie Rücksicht auf die Entnahmestelle genommen werden. Im weiteren Verlauf wird ein sogenanntes sehnenorientiertes Krafttraining durchgeführt, bevor mit dem Lauf- und Sprungaufbau begonnen wird. Dieses Training ist durch die Kombination aus hohem Trainingsgewicht mit sehr langsamer Bewegungsgeschwindigkeit gekennzeichnet, wodurch die Produktion von qualitativ hochwertigem Sehnengewebe gefördert und die Sehnenentnahmestelle auf die hohen Belastungen beim Laufen und Springen vorbereitet wird.

 

Therapie nach Kreuzband­operation (Stefan Mair) 1 Blood Flow Restriction / 2Knee Pacemaker / 3Biofeedback Training
1 Blood Flow Restriction / 2Knee Pacemaker / 3Biofeedback Training

 

Isolierte Kreuzbandverletzungen sehen wir in letzter Zeit immer seltener. Begleitverletzungen an Menisken und anderen Kapsel-Bandstrukturen, sowie knöcherne Korrekturen werden meist in Kombination mit der Kreuzbandrekonstruktion operativ behandelt. Dies hat längere Immobilisationszeiten zur Folge, wodurch ein wichtiger „Erhaltungsreiz“ für die Muskulatur wegfällt, und der Muskelumfang abnimmt (Atrophie). Dem können wir dank technischer Errungenschaften wie dem „Blood Flow Restriction Training“ entgegenwirken (Abb.1). Ein Kompressor mit integriertem Blutdruckmessgerät pumpt eine Manschette am Oberschenkel auf, sodass die Blutversorgung im Bein auf 20% reduziert wird. Während der Kompression werden unter Entlastung Muskelaktivierungsübungen durchgeführt. Durch die hervorgerufene Sauerstoffarmut (Hypoxie) werden Muskelwachstumshormone ausgeschüttet, womit der Atrophie deutlich entgegengewirkt werden kann. Zusätzlich stehen uns moderne Elektrotherapiegeräte zur Verfügung, welche mit Gelenkwinkelmesssystemen ausgestattet sind und somit funktionelle Elektrostimulation z.B. während des Gehtrainings implementiert werden kann (Abb.2).

Streckung

Das frühzeitige Erreichen der vollen Streckung war und ist eines der wichtigsten Ziele der Frührehabilitation nach Kreuzbandrekonstruktion. Der Begriff „arthrogene Muskel Inhibition“ hat hierzu in den letzten Jahren so einiges an wissenschaftlichem Interesse geweckt. Bis vor kurzem hat man geglaubt, dass eine Streckhemmung die Folge eines mechanischen Problems im Inneren des Gelenks ist. Neue Erkenntnisse zeigen, dass vielmehr die fehlende Aktivierbarkeit des Quadrizeps ursächlich mit der Entstehung einer Streckhemmung zusammenhängt. Daher ist es in den ersten vier Wochen wichtig, die Ansteuerung des Quadrizeps zu optimieren. Schwellungsreduzierende Maßnahmen wie Lymphdrainagen, die Einnahme entzündungshemmender Medikamente in der frühen postoperativen Phase bzw. Kälteanwendungen sind altbewährte Maßnahmen. Eine neue, sehr effektive Maßnahme stellt das „Biofeedback Training mittels Elektromyographie (EMG)“ dar. Hierbei wird die neuronale Ansteuerung der Muskulatur optimiert, indem gemessene Muskelimpulse in Kurvenform digital dargestellt werden und der Patient im „Live Feedback“ den Muskeltonus optimieren kann. (Abb.3) Neben neuesten Forschungsergebnissen können wir auf Erkenntnisse der Neurowissenschaften hinsichtlich motorischer Lernstrategien zurückgreifen. Nach einer Kreuzbandverletzung sind die Hirnaktivitäten bei der Durchführung diverser Bewegungsabläufe verändert. Bewegung ist ein Summenspiel aus hemmenden und fördernden Hirnaktivitäten. Nach einer Kreuzbandverletzung sind die hemmenden Hirnareale deutlich reduziert, wodurch das Hirn bei der Durchführung einfacher Bewegungsaufgaben unökonomisch arbeitet. „Externer Fokus“ sollte daher mehr Bedeutung in der Therapie bekommen, das heißt „ein unbewusstes Durchführen von Bewegung“. Die Verwendung von virtual Reality Spielen in der Rehabilitation stellt hierbei die neueste Entwicklung dar (Abb 4-5).

 

Therapie nach Kreuzband­operation (Stefan Mair) 4 externer Fokus / 5 VR Therapie
4 externer Fokus / 5 VR Therapie

Wann darf ich wieder zurück zum Sport?

Früher galt der Glaubenssatz, die Sportrückkehr kann nach sechs Monaten postoperativ erfolgen. Leider lehrten uns hohe Rerupturraten, dies zu überdenken. Die Durchführung objektiver Testbatterien, welche die individuellen motorischen Fähigkeiten beurteilen können, ist unumgänglich. Neben Fertigkeiten wie Sprunghöhe/-weite sowie Koordinations- und Stabilisationsfähigkeit wird aktuell der „Bewegungsqualität“ eine hohe Wertigkeit zugesprochen. Diese können wir mit 3-D-Bewegungsanalysen genauestens evaluieren. Aktuell entwickeln wir gemeinsam mit dem Ärzteteam Gelenkpunkt und dem Team Motum eine Mixed Reality Umgebung, um eine Spielfeldumgebung in einem Biomechaniklabor nachzuahmen. Zukünftig wollen wir so Bewegungsqualität unter Ablenkung (externer Fokus) sportartspezifisch testen und dadurch den Zeitpunkt zur Sportrückkehr noch optimaler bestimmen (Abb.6). Aktuell wird auch der psychologischen Bereitschaft große Bedeutung beigemessen. Zirka ein Drittel aller Athleten/Patienten schaffen die Rückkehr zum selben Sportlevel wie vor der Verletzung nicht mehr. Zwei Drittel davon geben mentale Probleme wie Angst vor Wiederverletzung oder mangelndes Vertrauen in das Knie an. So scheint es notwendig zu sein, bereits frühzeitig mentales Training interdisziplinär in die Rehabilitation einzubauen. Die stetige Weiterentwicklung der Nachbehandlungsstrategien nach einer Kreuzbandverletzung bedingt eine immer notwendigere Spezialisierung des physiotherapeutischen Teams. Den komplexen Anforderungen in der modernen Reha kann man nur im interdisziplinären Team begegnen. Eine entsprechende Infrastruktur für Sport-Reha ist Grundvoraussetzung.

 

Therapie nach Kreuzband­operation (Stefan Mair) 6 Mixed Realty 3-D-Bewegungsanalyse
6 Mixed Realty 3-D-Bewegungsanalyse