Sport und Krebs
In der Onkologie rückt die Lebensqualität des Patienten immer mehr in den Vordergrund. Eine gute Option: Dem Krebs kann man auch sportlich begegnen.
Text: Priv. Doz. Dr. Markus Hutterer, Oberarzt für Neurologie, stv. Ärztlicher Direktor BHB Linz Leiter der Arbeitsgruppe Neuro-Onkologie und Neuropalliative Care Abteilung für Neurologie mit Stroke Unit und Akutgeriatrie Konventhospital der Barmherzigen Brüder Linz
Etwa jeder Zweite erkrankt im Laufe seines Lebens einmal an Krebs, jeder Vierte stirbt daran. Biologisches Wissen, onkologische Diagnostik und Therapiemöglichkeiten haben sich in den letzten Jahren immens verbessert. Durch gezielte und individuelle Behandlungsstrategien stiegen die Überlebenschancen nach einer Krebsdiagnose deutlich an (Relatives 5-Jahres-Überleben: Frauen 66%, Männer 61%). Diese Erfolgsbilanz führt dazu, dass neben dem reinen Überleben die individuelle Lebensqualität des Patienten immer mehr in den Vordergrund rückt.
Onkologische Behandlungen (z.B. Operation, Strahlentherapie, Chemotherapie, Medikamente, Immunonkologie) führen häufig zu Komplikationen und Nebenwirkungen. Eine erfolgreiche und verträgliche krankheitsspezifische Behandlung sollte daher immer durch eine symptomorientierte Begleittherapie ergänzt werden. Neben der medikamentösen Linderung von Symptomen, der Psychoonkologie und der Ernährungsberatung stellt die Bewegungs-/Trainingstherapie eine sehr wichtige und hoch wirksame begleitende Therapieoption für Krebspatienten dar.
Trainings- und Bewegungstherapie
Eine Vielzahl von Studien konnten in den letzten 20 Jahren zeigen, dass Krebspatienten von körperlicher Aktivität in jeder Krankheitsphase profitieren. Die wichtigsten Ziele einer onkologischen Bewegungstherapie sind:
- Vorbeugung bzw. Linderung von Krankheits- und Therapiefolgen
- Verbesserung des Krankheitsverlaufs
- Steigerung der Wirksamkeit von onkologischen Therapien
- Weniger Nebenwirkungen und Komplikationen während der Behandlung
Prähabilitation
Krebspatienten mit einer höheren körperlichen Funktionsfähigkeit und einem besseren konditionellen Leistungszustand tolerieren eine Operation, Strahlentherapie oder Chemotherapie deutlich besser. Auswirkungen wie ein postoperativer Verwirrtheitszustand, Schmerzen oder ein ausgeprägtes Erschöpfungsgefühl treten wesentlich seltener auf. Entzündungshemmende und Immunsystemstärkende Effekte führen zudem zu einer verbesserten Wundheilung, einer schnelleren körperlichen Regeneration und zu kürzeren Krankenhausaufenthalten. Durch den kurzen Zeitraum zwischen Erstdiagnose und Therapiebeginn müssen prähabilitative Interventionen besonders effizient sein.
Funktionstraining
Darunter versteht man ein Training der Aktivitäten des täglichen Lebens, wie Förderung einer selbstständigen Körperpflege/Nahrungsaufnahme, eine frühzeitige Mobilisierung mit Vermeidung von Komplikationen durch zu langes Liegen und eine Verbesserung der Beweglichkeit von Gelenken und Muskeln. Gewohnte Aktivitäten des täglichen Lebens können genutzt werden, um sich gezielt zu bewegen (z.B. Treppensteigen, zu Fuß zu gehen). Schließlich kann der Patient sich bewusst 30-60 Minuten pro Tag für ein Bewegungsprogramm seiner Wahl Zeit nehmen (z.B. flottes Spazierengehen, leichtes Laufen, Schwimmen oder Radfahren).
Rehabilitationssport
Hierbei sollen Muskelkraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Koordination gezielt verbessern werden. Das Konzept der onkologischen Trainings- und Bewegungstherapie (OTT®) beinhaltet ein begleitetes Basistraining (Kraft -/Ausdauertraining) und zusätzliche individuelle Module in Abhängigkeit der Krebsentität, der onkologischen Behandlung, den Komplikationen/Nebenwirkungen, dem Alter und der körperlichen Leistungsfähigkeit. Die Bewegungsinhalte werden stetig auf die individuelle Situation des Patienten angepasst. Eine körperliche oder psychische Überforderung sollte auf jeden Fall vermieden werden.
Krebsnachsorge
Durch die Fortschritte der modernen Tumortherapien stieg in den letzten Jahren die Anzahl der „geheilten“ und der „chronisch kranken Tumorpatienten“ stark an. Aufgrund von körperlichen und psychischen Krankheits- und Therapiefolgen haben viele Krebspatienten jedoch weiterhin das Bedürfnis nach dem Ende der Krebstherapie ein regelmäßiges Training in Anspruch zu nehmen. Eine gezielte begleitende Bewegungs-/Trainingstherapie in der Krebsnachsorge kann Krankheits- und Therapiefolge deutlich verbessern und die Lebensqualität steigern.
- Verlängerung der Überlebenszeit und Reduktion des Risikos an der Krebserkrankung zu versterben (Odds-Ratio bis -40%)
- Reduktion des Risikos einen Rückfalls oder eines erneuten Tumorwachstums (Odds-Ratio bis -44%)
- Verbesserung der Wirksamkeit onkologischer Behandlungen
Biologische Wirkung
Die onkologische Bewegungs-/Trainingstherapie wirkt über das Immunsystem. Die von der Muskulatur gebildeten Botenstoffe wie „Myokine“ und „Interleukine“ sind entzündungshemmend und Immunsystemstärkend, dadurch erfolgt eine direkte Hemmung des Krebswachstums. Metabolische Veränderungen beeinflussen den Glucose-/Insulin-Stoffwechsel und das Fettgewebe. Last but not least steigt die Stressresistenz (Stress = Tumorwachstumsfördernd).
Ausblick
In Österreich sind sehr gute ambulante und stationäre onkologische Reha-Angebote etabliert. Inzwischen ist eindeutig belegt, dass eine regelmäßige, individuelle Bewegungs-/Trainingstherapie in allen Krankheitsphasen hoch wirksam ist. Dieses Potential zu heben, bedeutet einen unmittelbaren Nutzen für die Lebensqualität der Patienten und ist nicht zuletzt von hohem volkswirtschaftlichem Interesse.
Physiologische Effekte einer onkologischen Trainingstherapie
Gewebe und Organe
- Muskelabbau wird verlangsamt, bzw. Muskelaufbau gefördert
- Reiz zur Regeneration von Nervenschäden
- Stimulation und Regeneration verschiedener kognitiver Funktonen
- Verbesserung der Lungenfunktion und der Sauerstoffaufnahme
- Training des Herz-Kreislaufsystems
- Verbesserung der gastrointestinalen Funktionen (Appetitsteigerung, Linderung von Übelkeit, Verbesserung der Darmperistaltik)
Immunsystem
- Abwehr von Infektionserkrankungen
- Verbesserung der Körperregeneration und Wundheilung
- Positiver Einfluss auf Krankheitsverlauf und Prognose
- Linderung eines Tumor-Fatigue- Syndroms
- Reduktion einer chronischen systemischen Entzündungsreaktion (z.B. durch eine anhaltende Belastungssituation mit Stressreaktion)
Lebensqualität und Psyche
- Steigerung der individuellen, gesundheitsbezogenen Lebensqualität
- Verbesserung des Körpergefühls und der Fitness
- Vorbeugung bzw. Verbesserung depressiver Symptome und Angstgefühle