Wurscht oder Wahnsinn?

Skitouren gehen mit Knieprothese

DDr. Elisabeth Abermann, FA für für Orthopädie und Traumatologie
Text: DDr. Elisabeth Abermann

Was bedeutet für Dich Skitouren gehen? Es ist unglaublich wichtig für mich. Wenn das nicht mehr ginge, würde das meine Lebensqualität sehr einschränken.

Paul Hofer, Ende fünfzig, beruflich alles erreicht, möchte es ruhiger angehen und mehr Zeit für seinen Lieblingssport das Skitourengehen verwenden. Ein guter Plan, wäre da nicht ein kleines Problem: Seit einigen Jahren plagten ihn Knieschmerzen – erst nur nach sportlicher Belastung aber zunehmend auch währenddessen. Der Schmerz hielt ihn zwar nicht davon ab, seinen liebsten Freizeitbeschäftigungen (Fußball, Skitouren) nachzugehen, aber er wurde zum immer steteren Begleiter, wobei eine Abfahrt bei schlechten Schneeverhältnissen am schlimmsten war. Und jeder Tourengeher weiß: Das lässt sich nur schwer steuern. Schmerzmittel und Infiltrationen konnten irgendwann nur mehr kurzfristige Erleichterung bringen und schließlich, als er nach einer Skitour eine Woche lang humpelte bis er die nächste versuchen konnte, beschloss Paul: So kann es nicht weitergehen. Es war der Zeitpunkt für ein Ersatzteil gekommen. In der MRT-Untersuchung zeigte sich ein Ödem im Knochen, das den fast permanenten Schmerz erklärte. Nachdem eigentlich nur die Innenseite des Kniegelenkes von der Abnützung betroffen war, fiel die Entscheidung für eine Schlittenprothese (Hemiprothese). Diese wurde im Juni 2021 von Prof. Fink eingesetzt.

 

Paul Hofer

 

Die erste Skitour hat Paul beim ersten Schnee noch im Spätherbst absolviert. Schmerzfrei und besser trainiert denn je wurde auch gleich der Habicht und die Hohe Munde in der ersten Saison in Angriff genommen. Spätestens jetzt drängt sich die Frage auf: Skitouren gehen mit Knieprothese, ist das Wurscht oder Wahnsinn?

Grundsätzlich wird die Lebensdauer einer Endoprothese vom Abrieb des Inlays (der Kunststoffgleitfläche) bestimmt. Dies ist eine Frage der Beanspruchung, nicht der Zeit. Daraus ergibt sich ein grundsätzliches Dilemma – der Spagat zwischen Lockerung durch Abrieb oder Inaktivitätsosteoporose, der cardiovaskuläre und mentale Nutzen des Vergnügens an sportlicher Aktivität und dem potentiellen Risiko eines frühzeitigen Implantatverlusts.

Zum Skitourengehen gibt es keine eigenen biomechanischen Studien, die eine klare Antwort auf die Frage liefern, aber man kann es als Kombination von Schifahren und Treppen steigen betrachten. Damit ergibt sich beim Aufstieg eine Belastung des Kniegelenkes zwischen dem 4 und 6-fachem des Körpergewichts und bei der Abfahrt je nach Gelände und Fahrkönnen das 3,5- bis 8-fache des Körpergewichts. Bevorzugt werden sollten weite Schwünge in mittel-steilem Gelände ohne Buckelpisten (10-15-faches Körpergewicht). Diese Werte stammen zwar aus Untersuchungen zum Alpinschifahren, können aber zumindest in ihrer Größenordnung sicher auf das Schitourengelände umgelegt werden. Positiv auswirken könnte sich hier die Tatsache, dass es nur eine Abfahrt gibt.

Zusätzlich birgt sportliche Aktivität wie Skitourengehen mit einigen nicht oder nur schlecht kalkulierbaren Faktoren (Lawinengefahr, Veränderung der Schneeverhältnisse, schlechte Sicht) das Risiko für Verletzungen wie Frakturen oder Bänderrisse. Das Problem ist, dass diese Verletzungen bei Prothesenpatienten weitreichendere Folgen haben und oft mit einem Prothesenwechsel einhergehen. Insgesamt ist die Verletzungshäufigkeit bei Prothesenpatienten aber gering, da offensichtlich von den Patienten selbst Sportarten gewählt werden, die sie gut beherrschen. Somit kann man die Antwort vielleicht so zusammenfassen: es ist definitiv nicht Wurscht, da der Stress auf das Inlay durchaus Ausmaße annehmen kann, die es schädigen, aber es ist auch nicht Wahnsinn, solange es mit adäquatem Können, in moderatem Gelände und bei guten Schneeverhältnissen ausgeübt wird. Dann überwiegt der Mehrwert aus Erhalt der körperlichen Fitness, geringerer Sturzanfälligkeit und besserer Koordination den Nachteil des etwas erhöhten Verschleißes.