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Gehen Sie Gedankenfreiheit

Auf den Spuren von Goethe, Schiller und Bach. Zu Fuß durch Weimar und Leipzig

Pia Wiesauer
Text: Pia Wiesauer
Foto: Josef Wiesauer
Foto: Josef Wiesauer

 

Thüringer Klöße mit grüner Sauce, dazu Schwarzbier. „Mich ergreift, ich weiß nicht wie, himmlisches Behagen“ ist man ganz bei Goethe in der „Geheimratsecke“ seines Stammlokals „Zum goldenen Schwan“ in Weimar, gleich neben dem Wohnhaus des Dichterfürsten.

Als Sohn eines hochrangigen Justizbeamten stand ihm, was berufliche Aussichten, soziale Stellung oder das finanzielle Auskommen betraf, nicht viel im Weg. Die Laufbahn war im Wesentlichen eine glatte: Studium in Leipzig, Eintritt in den Staatsdienst, Aufstieg zum Geheimen Rat und schließlich Aufnahme in den Adelsstand. Dass es finanziell kaum Probleme gab, sieht man deutlich: Die Zimmer und Salons sind mit prachtvollen Möbeln, Gemälden und Kunstschätzen ausgestattet. Höhepunkt ist das originalgetreu erhaltene Arbeitszimmer, wo das Tintenfass noch, jederzeit bereit, am Tisch steht. Direkt daneben ist Goethes persönliche Handbibliothek, die seine naturwissenschaftliche Sammlung beherbergte. Volle Buchregale und Schaukästen mit Forschungsobjekten zeigen Goethe als Dichter und Wissenschaftler. Über das wunderbar unmoderne, enge Stiegenhaus gelangen wir in den idyllischen Blumengarten, wo Bänke und kleine Sitzgruppen dazu einladen innezuhalten und über die gewonnenen Eindrücke zu sinnieren.

Nicht einmal fünf Minuten Gehweg trennen die Häuser Goethes und Schillers. Wird der Weg trotzdem zu weit, bietet sich eine Kaffeepause am Zwiebelmarkt an. Dabei lässt sich gut beobachten, dass Weimar bis heute Studentenstadt ist. Junge Künstler der Bauhausuniversität mit Portfoliomappen und Musiker mit Instrumenten unterm Arm spazieren im Minutentakt vorbei. Mit Glück kann man durch ein Fenster Studenten der Franz Liszt Hochschule für Musik üben hören.

 

Von links nach rechts: Goethe-Nationalmuseum (Foto: Klassik Stiftung Weimar / Alexander Burzik), Goethes Garten, Schillers Wohnhaus (Fotos: Maik Schuck), Bauhaus-Museum Weimar (Foto: Thomas Müller GmbH)
Von links nach rechts: Goethe-Nationalmuseum (Foto: Klassik Stiftung Weimar / Alexander Burzik), Goethes
Garten, Schillers Wohnhaus (Fotos: Maik Schuck), Bauhaus-Museum Weimar (Foto: Thomas Müller GmbH)

Geben Sie Gedankenfreiheit

Vorbei am deutschen Nationaltheater geht es nach Hause zu Friedrich Schiller. Es stimmt übrigens nicht, dass die beiden sich trotz ihrer Nachbarschaft selten getroffen hätten. Einige Zeit lebten sie tatsächlich beinahe direkt nebeneinander, ohne engeren Kontakt zu pflegen. Später entwickelte sich aber eine innige Beziehung und fruchtbare Zusammenarbeit mit fast täglichen Treffen. Das hielt die beiden Herren allerdings nicht davon ab, sich zusätzlich Unmengen von Briefen zu schreiben – fast 1.000 Stück sind erhalten geblieben.

Schillers Zuhause ist optisch deutlich weniger imposant, wirkt dafür aber ein bisschen gemütlicher. Statt einer Vielzahl an Kunstschätzen sieht man hier Kinderbettchen und Küche. Die Schautafeln im Foyer zeigen, dass Schiller, bevor er in Weimar ankam, bereits einiges hinter sich zu bringen hatte: Unfreiwilliger Eintritt in die militärische Laufbahn als Jugendlicher, fehlende Unterstützung des Herzogs von Württemberg. Auf mehrere Strafen wegen unerlaubter Abwesenheit folgte das faktische Berufsverbot als Schriftsteller und die Flucht vor dem ungeliebten Dienst als Militärarzt. Nach einigen unsicheren Jahren kommt Schiller zum ersten Mal nach Weimar und kann, dank der Protektion durch den Hof, endlich sesshaft werden. Angesichts dieser turbulenten Biographie kann man sich gut vorstellen, was ihn dazu bewegte in „Don Carlos“ den verzweifelten Ausruf einzubauen: „Geben Sie Gedankenfreiheit!“.

Ein gutes Jahrhundert später prägte ein weiterer Freidenker seiner Zeit Weimar nachhaltig. Begründet 1919 von Walter Gropius wurde das Bauhaus rasch zum Inbegriff der Avantgarde in Design und angewandter Kunst. Als Bildungsstätte, die erste, die Kunst und Handwerk als Einheit betrachtete, bestand das staatliche Bauhaus nur knappe 15 Jahre. Trotzdem ist es noch heute richtungsweisend für moderne Architektur und Formgebung.

In der Innenstadt vermitteln einige liebevoll gestaltete Shops Bauhausflair und laden mit formschönen, bunten Gebrauchsgegenständen zum Weitershoppen ein. Eine Bauhaus Stehlampe würde gut zu Andy Warhols Goethe Porträt passen. Das Original gibt es im Goethemuseum zu sehen, den Druck im Museumsshop zu kaufen. Für einen tieferen Einblick, ist das Bauhaus-Museum in circa zehn Minuten Fußweg erreichbar.

 

Von links nach rechts: Augustusplatz (Foto: Andreas Schmidt), Mädler Passage (Foto: Kunstmann), Thomaskirche (Foto: Andreas Schmidt), Auerbachs Keller, Nikolaikirche (Foto: Andreas Schmidt), Auerbachs Keller (Foto: Kunstmann)
Von links nach rechts: Augustusplatz (Foto: Andreas Schmidt), Mädler Passage (Foto: Kunstmann), Thomaskirche (Foto: Andreas Schmidt), Auerbachs Keller, Nikolaikirche (Foto: Andreas Schmidt), Auerbachs Keller (Foto: Kunstmann)

City of change

Kaum ein Ort bietet eine größere Dichte an kulturgeschichtlichen Spuren als Leipzig. Auch Goethe und Schiller haben sich hier aufgehalten. Letzterer verbrachte einen Sommer in einem Haus, das damals noch knapp vor der Stadtgrenze lag. Heute lässt es sich bequem mit der Straßenbahn erreichen und besichtigen. Sehen Sie sich auch hier die Küche an! Sie sagt zwar weniger über Schiller aus, ist aber original belassen und bietet einen spannenden Blick in das tägliche Leben des 18. Jahrhunderts.

Leipzig in einer Reise ganz zu begreifen, ist unmöglich. Am besten ist also, es erst gar nicht zu versuchen. Wer sich mit offenen Augen durch die Stadt treiben lässt, findet alle paar Meter kleine Spuren der Geschichte. Darunter zum Beispiel eine Tafel am neuen Markt, die daran erinnert, dass in diesem Haus Goethe, Lessing und Kleist einmal logiert haben – quasi ein literarisches Traumhaus!

Am Augustusplatz, wo sich mehrere Jahrzehnte Stadtgeschichte in den Gebäuden manifestieren, wird die „Stadt im Wandel“ begreifbar. Das Areal war im Zweiten Weltkrieg zum größten Teil Opfer von Bomben geworden, mit Ausnahme des Augusteum, Hauptgebäude der im 15. Jahrhundert gegründeten Universität. Goethe, Wagner, Leibnitz und Novalis gehören unter vielen anderen berühmten Namen zu ihren Studenten. 1968 wurde das Augusteum samt der angeschlossenen Paulinerkirche als Folge sehr umstrittener städtebaulicher Entscheidungen gesprengt. Heute erinnert an der Stelle der Campus Augustusplatz mit seiner kirchenähnlichen Gestaltung an die ursprünglichen Gebäude.

Nordseitig lieg die Oper, deren Architektur – so neutral beschrieben wie möglich – ein Kind der DDR ist. Sie wirkt vor allem viereckig und gemauert. Außen reihen sich Symbole aus dem musischen Bereich direkt an Hammer, Zirkel und Ährenkranz. Direkt gegenüber steht, als krasser architektonischer Kontrast, das Gewandhaus. Die großflächige moderne Glasfassade macht das farbenfrohe Deckengemälde des Künstlers Sighard Gille sichtbar, dass den gesamten Foyerbereich ausgestaltet. Auch ohne das Glück, Karten für ein Konzert des Gewandhausorchesters zu ergattern, lohnt sich der Blick hinein. Neben dem imposanten Deckenfresko gibt es auch einen wunderbar ausgestatteten Shop, der Musik von Bach bis Joan Baez bietet.

Sozusagen in zweiter Reihe umstehen moderne Hochhäuser den Platz. Bei den meisten handelt es sich um Hotels, wo praktisch das ganze Jahr über tausende Messegäste aus aller Welt unterkommen, die Leipzig ein belebtes, kosmopolitisches Flair geben.

Durch die Innenstadt geht man idealerweise nicht entlang fixer Routen, sondern lässt sich von der Neugier leiten. Die Grimmaische Straße ist die Hauptschlagader. Von ihr aus entdeckt man die unzähligen, wunderschönen Höfe und Passagen, die Straßen und Gässchen verbinden und Leipzig zum begehbaren Puzzle machen.

Kurz nach dem Augustusplatz biegen wir rechts ab zur Nikolaikirche und der 1999 errichteten Friedenssäule. Abends ist nicht nur sie beleuchtet, auch der Kirchenvorplatz selbst wirkt wie ein ebenerdiger Sternenhimmel. Dahinter steckt eine Lichtinstallation, die mit 150 zwischen den Pflastersteinen verstecken Lämpchen eine symbolische Montagsdemonstration darstellt. Unter dem Motto „Offen für Alle“ bot die Kirche Systemkritikern und später Demonstranten Gedankenfreiheit und Schutz vor drohenden Konsequenzen. Die zunächst als Montagsgebet bekannten Zusammenkünfte wuchsen sich ab September 1989 zu Demonstrationen aus, die in der ganzen Republik den Umsturz anstoßen sollten.

An der Nikolaikirche vorbei kommen wir in die Ritterstraße, die praktisch zur Gänze von Antiquariaten besiedelt ist. Darunter ist auch die Stammbuchhandlung des in Leipzig gegründeten Inselverlags, wo ganze Regalwände mit den charakteristischen bunt gemusterten Buchrücken der alten Insel-Ausgaben locken. Warnung: Ohne Bücher kommt man aus Leipzig nicht weg!

Faust und Mephisto in Auerbachs Keller

Einen Häuserblock weiter geht es retour zur Grimmaischen Straße und dem wohl bekanntesten literarisch verewigten Weinkeller. Schon vor dem Eingang zu Auerbachs Keller in der Mädlerpassage weisen Bronzefiguren von Faust und Mephisto den Weg. Ihnen gegenüber stehen die von Mephistos Zaubertricks (und dem Wein) schwer beeindruckten Studenten.

Schon im 16. Jahrhundert befand sich hier ein Weinlokal, das Goethe in seiner Studentenzeit gern und oft besucht hat. Heute sitzt man in den historischen Weinstuben oder dem großen Keller unter Fresken, die Szenen aus dem Faust zeigen. Wein gibt es immer noch, das Essen dürfte seit Goethes Studentenzeit aber besser geworden sein. Die Spezialität des Hauses sind feine Gerichte vom Wildschwein, gefolgt von luftig leichten Quarkkäulchen – stellen sie sich dickere Palatschinken aus Topfenteig mit der Konsistenz einer Wolke vor. Nebenan in der legendären Kümmelapotheke inhaliert man bei einem Drink das traditionelle, historische Flair der Stadt. Kaum einen Steinwurf entfernt erreichen wir das Barfußgässchen. Hier brummt Leipzig: Lokal reiht sich an Lokal, optisch ein Sammelsurium vom Anzug bis zu Shorts, akustisch eine Melange aus vielen verschiedenen Sprachen. Auf den 300 Metern zwischen dem bürgerlichen Herz und der modernen Seele wird der kulturelle Spannungsbogen Leipzigs spürbar. Leipzig kommt als „Weltstadt“ daher.

Bach in der Thomaskirche

Die Thomaskirche ist Ort des Glaubens und Gedenkstätte an einen weiteren weltberühmten Leipziger: Johann Sebastian Bach. Von 1723 – 1750 war er als Thomaskantor für die Leitung des heute weltbekannten Thomaner Chors verantwortlich. Seit 800 Jahren gibt es die Thomaner nun bereits, die sich heute besonders um den musikalischen Nachlass Bachs bemühen. Mit dem richtigen Timing kann man sie bei den Gottesdiensten und Motetten in der Thomaskirche singen hören. Der Eintritt ist frei, aber langwierig. Um einen Platz zu bekommen, sollte man mindestens eine Stunde vorher da sein. Alternativ besuchen wir das Hörkabinett des Bachmuseums, wo alle Bachkompositionen, die es in einer Einspielung gibt, in voller Länge gehört werden können. Allerdings sollte man auch dafür genügend Muße mitbringen. Der Thomaskantor war neben dem Chor auch für die musikalische Gestaltung in gleich vier Leipziger Kirchen verantwortlich. Bach begegnete dieser Aufgabe mit ziemlicher Produktivität und lieferte für die Thomaner im Wochentakt neue Kantaten. Dazu kamen Oratorien, Kompositionen für Tasteninstrumente und Konzerte. Letzteren widmet sich im Bachmuseum das „Wandorchester“, wo barocke Instrumente auf Knopfdruck beleuchtet werden und sich aus der eingespielten Musik hervorheben lassen.

Geschriebene Sprache in der Deutschen Nationalbibliothek

Musikalisch ausreichend inspiriert stärken wir uns am Fuße der Thomaskirche mit Leipziger Lärche und Kaffee, bevor wir uns wieder der Sprache widmen. Ziel ist die Deutsche Nationalbibliothek, deren Standorte, wohl kaum durch Zufall, die Buchmessestädte Frankfurt am Main und Leipzig sind. Ihr Gesamtbestand fasst die schier unglaubliche Zahl von fast 39 Millionen Medien. Einen Eindruck dieses unglaublichen Volumens vermitteln auf dem Weg zum Eingang die riesigen, weißen Magazinspeicher. Frei in den Grünflächen rund um das Hauptgebäude stehend, erinnern sie ein bisschen an Getreidesilos oder Wassertürme.

Etwas versteckt, links vom Haupteingang befindet sich das deutsche Buch- und Schriftmuseum, dass sich der Frage widmet, wie es zu einer solch unglaublichen Menge verschriftlichter Sprache überhaupt kommen konnte. Von ersten frühhistorischen Keilschriften über handgeschriebene antike Folianten bis hin zu modernen Medien zeigt das Museum auf erstaunlich kleinem Raum die große Geschichte der geschriebenen Sprache. Wer jetzt denkt, das wäre schon die beeindruckteste Büchersammlung der Stadt, der irrt. Leipzig hätte mit der Bibliotheca Albertina, der Leipziger Universitätsbibliothek, auch noch die älteste Bibliothek Deutschlands mit einer der größten Sammlungen an Handschriften zu bieten.

Wie schon gesagt, es ist unmöglich, alles, was Leipzig zu bieten hat, auf einmal mitzunehmen. Ein weiterer Besuch wird sich nicht vermeiden lassen.

Leipzig Allstars Martin Luther Gottfried Wilhelm Leibnitz Johann Sebastian Bach Johann Wolfgang von Goethe Friedrich Schiller Novalis Felix Mendelssohn Bartholdy Friedrich Nietzsche Richard Wagner Die Prinzen Juli Zeh