Veloziferisch A = v2

Illustration Peng

Mit der Wortschöpfung, bestehend aus velocitas (Geschwindigkeit) und Luzifer beschrieb Goethe seine Epoche. Er verstand, dass wir uns ständig weiterentwickeln müssen. Selbstverständlich müssen wir neu gewonnene Erkenntnisse nutzen, und ständig unsere Denkweise ändern, um unsere Existenz zu gewährleisten.

Eine Bedrohung sah er in dem hohen Tempo, mit dem sich Knowhow und Wissen entwickelten. Seit dem 18. Jhdt. ist das Klagen und die Angst der Menschen über zu hohes Tempo in Gesellschaft, Technik und Information omnipräsent. Als die ersten Züge fuhren, wurden Mütter angehalten, ihren Kindern beim Vorbeifahren die Augen zuzuhalten, damit sie nicht Schaden nehmen. Das beste Sinnbild für den verzweifelten Umgang mit dem neuen Tempo ist der Indianerhäuptling, der bei der ersten Fahrt im Auto den Fahrer bittet, anzuhalten, damit die Seele nachkommen kann. Tempo, die revolutionäre Zeitschrift für den Zeitgeist musste nach wenigen Ausgaben eingestellt werden. Sie kam mit der rasanten Entwicklung in den 80er Jahren nicht zurande. Tempo konnte das Tempo nicht halten.

Schon im 4. Jhdt. v. Chr. konstatierte Aristoteles, dass die vom Menschen geforderte Geschwindigkeit dem Streben nach Glück essenziell im Weg steht. Gefühlt war das Tempo
(a = v2, Beschleunigung = Geschwindigkeit zum Quadrat) immer zu hoch. Biologisch gesehen lässt sich das nicht begründen. Manfred Spitzer sieht in seinem Bestseller „Digitale Demenz“, das Limit noch lange nicht erreicht. Sorgen sind unberechtigt, denn unser Gehirn, Nervensystem und Sinnesorgane haben der Entwicklung bis dato blendend standgehalten. Das ist beruhigend, denn eines ist gewiss:

Nie wieder wird die Welt so langsam sein wie jetzt!