FORZA NAPOLI

Zu Fuß durch Neapel

View of the houses and buildings in Naples, Italy during sunset

 

Permesso, sagt der Taxifahrer und stellt mein Weinglas am Tisch zur Seite, damit er es nicht mit seinem Rückspiegel touchiert. Wir begegnen uns auf Augenhöhe, er am Volant seines Fahrzeugs, ich am Tisch des Restaurants. Die Via Giovanni Paladino ist eine schmale, einspurige, „verkehrsbeunruhigte“ Gasse in der Altstadt. Autos, und Motorroller sind allgegenwärtig, die Straßenverkehrsordnung scheinbar außer Kraft. Eine rote Ampel ist ein „Vorschlag“, mit dem die Neapolitaner kreativ umgehen. Das Verkehrsverhalten ist eine tägliche best praxis Übung, das strikte Einhalten der STVO würde Neapel stilllegen. 

Während das Verhalten der Verkehrsteilnehmer viel Diskussionsstoff birgt, ist das beim Ragu Napoletano, das mir gerade eine once in the life experience beschert, nicht vorgesehen. Jedes Lokal, jede Familie hat ihr (gut gehütetes) allein gültiges Rezept, das in Stein gemeißelt ist. Das der anderen kann und will man nicht verstehen. 

So chaotisch zu Beginn der Verkehr anmutet, ist Neapel trotzdem gut geeignet, um es zu Fuß zu erobern. Nach einer kurzen Phase der Eingewöhnung, sucht man als Fußgänger den Blickkontakt mi dem Roller- oder Autofahrer und überquert, unabhängig von der Ampelphase sicher die Straße. 

Die Galleria Umberto I mit dem gegenüberliegenden ältesten Opernhaus Europas, dem Teatro San Carlo, und die anschließende Piazza del Plebiscito kann man leicht als Ausgangspunkt jeder Tour ausmachen. Im Westen liegt das mondäne Viertel Chiaia mit der Via Chiaia und der Riviera Chiaia (Lokalszene am Meer). In der Via Dei Mille residieren alle Designer, wie Prada, Gucci, Louis Vuitton. In den angrenzenden Gassen und Straßen findet man unzählige Boutiquen, Geschäfte, Lebensmittelhändler. Im Unterschied zur rauen Altstadt mutet die Atmosphäre hier fast klinisch an. 

Prendiamo un Caffè

Wir starten in den Tag mit einem Caffè (so heißt hier der Espresso) im Gran Caffè Gambrinus am Beginn der Via Chiaia. Einen Caffé zu nehmen ist Bestandteil des Lebens in Neapel. Beim, im Stil der Belle Epoque eingerichteten, bekanntesten Café der Stadt stellt man sich, wie beim Café Zentral in Wien, an, genießt dafür aber dann die italienische Kaffeekultur in all ihren Facetten. Beim Biss in die Sfogliatelle mit Ricotta und Zimt schmeckt man Neapel. 

Über die Via Chiaia gelangen wir zur Piazza dei Martiri. Der Platz und das hervorragende Gelati verordnen eine Zwangspause. Anschließend flanieren wir durch die Via dei Mille an den Designershops vorbei und mäandern durch die kleinen Gassen des Chiaia Viertels. Kaum zu glauben, Neapel und sauber paart sich. Wir nähern uns unserem Ziel, der Via Giosuè Carducci 29 und statten einem der berühmtesten Schneider der Stadt, Antonio Panico, einen Besuch ab. Das gerät zur Pfadfinderübung, denn weder Schild noch Geschäftslokal weisen auf den Schneider hin, zu dem Kunden aus der ganzen Welt anreisen. Wer weltberühmt ist, braucht keine Tafel. Nachdem wir uns dreimal der Hausnummer versichert haben, betreten wir den Innenhof, in dem uns ein Portier beim Weg in den 1. Stock begleitet. Das Atelier des Meisters, in dem Antonio Panico typisch neapolitanische Eleganz in Form des blauen Sakkos, dem „giacca blu“ verordnet, anmisst und selbstverständlich per Hand näht, ist wie aus einem Hollywood Film der 60er Jahre. Insgeheim erwartet man, dass Marcello Mastroianni aus der Umkleidekabine tritt. Den maßgeschneiderten Anzug gibt es ab wohlfeilen 4.000,00 Euro. Es bedarf dreier Anproben, bis man nach sechs Monaten das gute Stück nach Hause nehmen kann. 

Wieder an der frischen Luft, zieht es uns ans Meer. In der Riviera di Chiaia kommen wir beim nächsten berühmten Schneider, E. Marinella, vorbei. Er schneidert Krawatten nach Maß und verschickt sie weltweit, oder verkauft sie in seinen Niederlassungen in Rom, London, Tokio. Auch dieses Atelier ist Inside Neapel. Wir schlendern die Via N. Sauro dem Meer entlang. Hier reiht sich Lokal an Lokal. Man sitzt beim Essen am Meer, und obwohl sehr touristisch, isst man, wie überall in Neapel, auch hier sehr gut. 

 

Cliff with a path leading to the sea. Capri, Campania, Italy.

Gelato auf Capri

Wir starten wieder auf die Piazza Plebiscito. Den Kaffee nehmen wir diesmal beim Caffe del Professore. Neapel ohne Capri ist ein No Go, denken sich bis zu 16.000 Touristen pro Tag. Die Postkarte lügt nicht, die Anmutung der Insel ist kitschig schön. Die kleinen Gässchen sind schön und aufgeräumt. Romantik kommt aufgrund des Touristenstroms keine auf. Die Lokale, hier schließen wir uns der Meinung von Hans Mahr im Trend an, sind bestenfalls Durchschnitt und auch dann noch überteuert, wenn man den Blick vom Gastgarten in die Prada-Filiale mit einpreist. Lustig sind allenfalls Nebenschauplätze, wie die Busfahrt vom Hafen ins Zentrum. Wie die Fahrer auf der gefühlt einspurigen Straße die Ausweichmanöver gestalten, fällt unter die Rubrik höhere Kunst. Bei der Rückfahrt mit dem Aufzug (Funicolare di Capri) von Capri Stadt zum Hafen kommt tatsächlich so etwas wie Romantik auf, die sich bei der Rückfahrt auf der Fähre schnell verflüchtigt. Aufgrund der rauen See wird das halbe Schiff seekrank. 

Procida – La cultura non isola 

Hier wurde in Anlehnung an den Exilaufenthalt Pablo Nerudas in Europa der Film „Il Postino“ gedreht. Wer den Film kennt, muss hin, werden Film nicht kennt, muss ihn sehen. Obschon alt, doch großes Kino. An einigen Locations weisen liebevolle Tafeln auf Drehorte hin. Die Insel ist beliebter Drehort, unter anderem auch für „der talentierte Mister Ripley“. Der Blick von Terra Murata, der mittelalterlichen Oberstadt von Procida, hinunter in den malerischen Hafen erfüllt alle optischen Erwartungen an den Golf von Neapel. Unter dem Titel „La cultura non isola“, Kultur isoliert nicht, war die Insel 2022 italienische Kulturhauptstadt. 

 

Procida is a charming island in the Tyrrhenian Sea, off the coast of Naples, Italy. It’s celebrated for its colorful waterfront houses, scenic landscapes, and tranquil ambiance. Procida offers a relaxing escape from the bustling mainland, with picturesque beaches and a captivating historic center.

Pizza

Nachdem wir die Prüfung zur Pizzaresistenz abgelegt haben, ist es am dritten Tag so weit. Letztlich ist es ja ein großes Projekt unserer Reise, die beste Pizza unseres Lebens zu essen. Wo sonst, außer hier. Direkt am Nordausgang der Galleria Umberto I nehmen wir die Via Toledo. Untypisch für Neapel ist sie Fußgängerzone, die MAHÜ von Neapel. Links der Toledo, also im Westen liegen die schmalen Gassen der Altstadt, mit hunderten kleinen Lokalen, zwischen deren Tischen die Roller­fahrer kurven. 

Auf unserem Weg Richtung San Lorenzo kreuzen wir die Via B. Croce. Sie ist Teil des Straßenzugs, der die Altstadt geometrisch in zwei Hälften teilt, der „Neapelspalter“ und das ihn umgebende Viertel, Spaccanapoli, das ist Neapel. 

Unser Ziel ist die Via Dei Tribunali 32. Ganz fokussiert auf Pizza, übersehen wir fast die Ausstellung des völlig neu restaurierten Caravaggio Bildes „Die Gefangennahme Christi“ im Palazzo Ricca. Der Meister des Lichts und der Finsternis lässt einen immer wieder staunend zurück. 

Bei Gino Sorbillo Pizzerie Napoletane, einem der berühmtesten Pizzaiolos stellt man sich an. Eine Yoga-Übung beim Blick auf die vorbei getragenen Pizzen. Aber die Margherita – sensationell – ist es allemal wert. Solcherart gestärkt lassen wir uns durch die bunten Gassen des Viertels treiben und entdecken alte Handwerksläden, Instrumentenbauer und vieles mehr. Speziell erwähnt sei die Gasse der Krippenbauer (Via San Gregorio Armeno). Hier spürt man die DNA der Stadt. 

Naples, Italy, 4 november 2023 – Murale Diego Armando Maradona – Quartieri Spagnoli (Mural of at the Spanish Quarter)

Diego

Der Status einer italienischen Stadt kreiert sich aus Architektur, Geschichte, Kultur. Logisch – einen beträchtlichen Beitrag zum Image liefert der Fußballverein. Obzwar der SSC Napoli auf der Weltbühne des Fußballs nicht die Rolle der Rossonero (AC Milan) oder Nerazzurri (Inter Mailand) spielt, ist Fußball präsenter als in Mailand oder in der Heimat von AS und Lazio Roma. Wobei sich scheinbar alles sehr auf eine Epoche verdichtet, respektive den wichtigsten Protagonisten des Sports, der in Neapel wirkte. Maradona in Lebensgröße wirbt für Pizzen, Souvenirs, Fernseher, Friseur, kurzum für alles. Ganz zu schweigen von den allgegenwärtigen Maradona–Altären. Liebe Neapolitaner: Maradona ist tot, Napoli war auch 2023 italienischer Meister und Eure Squadra steht 2025 an der Spitze der Serie A.

Der Fußball spiegelt das Bild von Neapel wider: So wie der SSC Napoli kein Weltteam ist, so ist Neapel keine Weltstadt, aber ein Ort mit ganz viel Herz, nicht nur für Fußball, authentisch und echt. Nirgends ist Italien italienischer als in Neapel. 

Forza Napoli!