Echt jetzt?

Wie Medien unsere Urteilskraft herausfordern

Illustration: peng
Illustration: peng

Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) und Dr. Randall Mindy (Leonardo DiCaprio) versuchen verzweifelt zu kommunizieren, dass ein Komet auf direktem Kurs auf die Erde zusteuert. In der größten Life Talk Show der USA verkünden sie das nahende Ende der Menschheit. Mit aller Kraft kämpfen sie live auf Sendung um Gehör, können aber neben echten Blockbuster News wie Scheidungsgerüchten des Hollywoodstars, fehlgeschlagener Schönheitsoperation eines Publikumslieblings, Wetterbericht, Publikumsspiel, Menüvorschlägen und Produktplatzierungen nicht bestehen. Als sie es letztlich schaffen, ihre Botschaft zu platzieren, nimmt es im Umfeld einer von wenig Tiefgang beseelten Small Talk Runde niemand ernst. Für eine seriöse und relevante Botschaft braucht es die Tragfähigkeit des richtigen Mediums, um ernst genommen zu werden. Im oscarprämierten Hollywoodstreifen „Don’t look up“ wird eine relevanzresistente TV-Plattform persifliert, die sehr nahe an der Realität liegt.
Das Medium ist die Botschaft.

Charlie Chaplin nahm in San Francisco an einem Chaplin Lookalike Wettbewerb teil. Im Selektionsverfahren um sein bestes Double schied er bereits in der Vorrunde aus. Der Grund lag darin, dass er das Schlüsselkriterium, den berühmten Charlie Chaplin Watschelgang nicht beherrschte. Denn er ging am Set ja immer normal, den Rest machten die Filmtechniker mittels Beschleunigung und Schnitt. Der berühmte Watschelgang war ein künstliches Produkt der Technik. Alle Teilnehmer imitierten den Chaplin aus dem Film. Die Kunstfigur war das „echte“ Vorbild, das man suchte. Dem konnte der reale Chaplin nicht entsprechen. Die Kunstfigur wurde durch das Medium Film zum „echten“ Chaplin.
Das Medium ist die Botschaft.

Neil Postman schreibt in seinem Bestseller „Wir amüsieren uns zu Tode“: „Zum ersten Mal in der Geschichte gewöhnen die Menschen sich daran, statt der Welt ausschließlich Bilder von ihr ernst zu nehmen“.
Das stellt völlig neue Herausforderungen an unsere Urteilskraft. Wir müssen das Medium, das uns die Botschaft liefert, in unser Urteil miteinbeziehen, denn: Das Medium ist die Botschaft.

Veröffentlicht in Essay