Leben ala Carte 2103

Prehab statt Rehab

Physiotherapeutische Behandlungen werden üblicherweise von Patienten mit einem orthopädischen Problem, Schmerzen oder postoperativ in Anspruch genommen. Aber auch prophylaktisch kann die Physiotherapie viel leisten.

Michael Scheinecker
Text: Michael Scheinecker

Kann man Probleme vorzeitig erkennen? Ja. Physiotherapie ist auch für schmerzfreie, gesunde Personen äußerst sinnvoll. Mit Hilfe von physiotherapeutischen Testungen können mögliche Schwachstellen und Problemzonen frühzeitig erkannt und dann bereits prophylaktisch verbessert werden. Im Leistungssport ist das Standard.

Ein manueller Muskel- und Gelenksfunktionstest ist nicht nur für erfahrene Athleten, die zusätzlich ausgleichend trainieren wollen, sinnvoll, sondern auch für Sporteinsteiger, die Tipps wollen, worauf sie besonders achten müssen, Büroangestellte, der einen Ausgleich zum Berufsleben brauchen, oder einfach, um mehr über den eigenen Körper zu erfahren und einen objektiven Ist-Status zu erhalten.

 

Manueller Muskel- und Gelenksfunktionstest

Es handelt sich hierbei um eine Testbatterie zur Bestimmung von bestimmten Parametern unseres muskuloskelettalen Systems. Der Test nimmt in etwa 60 Minuten in Anspruch und wird von einem Physiotherapeuten durchgeführt.

Zuerst wird in einem kurzen Gespräch der aktuelle Status des Klienten abgefragt. Dies ist nicht nur für die Schwerpunktsetzung der weiteren Testung wichtig, sondern auch für die Ergebnisinterpretation, vor allem bei der ersten Erhebung der Statik des Körpers. Im Grunde wird der Körper aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und auf Auffälligkeiten untersucht. Oftmals wirkt der Verlauf der Wirbelsäule „schief“ oder eine Schulter erscheint höher als die andere. Dies muss kein zwingender Grund für ein orthopädisches Problem oder Schmerzen sein. Wer beim menschlichen Körper nach geraden Linien oder exakter Symmetrie sucht, sucht vergebens. Viel wichtiger hingegen ist die korrekte Interpretation des Therapeuten und die Abgleichung des aktuellen Status.

In weiterer Folge wird die Beweglichkeit der Wirbelsäule und der großen Gelenke überprüft. Dies ist ein besonders wichtiger Teil der Testung. Bestimmte Gelenke sollten beweglicher sein als andere. Zum Beispiel ist die Brustwirbelsäule nicht so mobil, wie die Lenden- und Halswirbelsäule. Was geschieht, wenn man viel sitzt, am Computer arbeitet und sich im Alltag nicht ausreichend bewegt? In diesem Fall kommt es meist zu einer Einschränkung des Bewegungsausmaßes (Hypomobilität) der Brustwirbelsäule. Dies hat zur Folge, dass ein anderer Teil der Wirbelsäule, häufig die Halswirbelsäule, kompensatorisch mehr beweglich (hypermobil) wird. Dies kann zu Beschwerden wie Verspannungen oder Schmerzen führen. Erkennt man diese Einschränkungen frühzeitig, kann man mit gezielter Gymnastik und Training entgegenwirken.

Des Weiteren werden Bänder -und Stabilitätstests des Knie- und Sprunggelenks durchgeführt. Diese spielen vor allem dann eine Rolle, wenn bereits Verletzungen vorliegen, oder sich ein Stabilitätsproblem zeigt. Zu guter Letzt wird das Muskelsystem genau untersucht. Einerseits wird die Kraft, andererseits auch die Muskelelastizität/Dehnfähigkeit einzelner Muskeln getestet. Diese zwei Faktoren stehen in enger Symbiose zueinander. Ein sehr kräftiger bzw. großer Muskel, der kaum Bewegung zulässt, kann zwar ästhetisch sein, allerdings ist er nicht wirklich funktionell. Im Gegensatz dazu birgt eine sehr hohe Dehnfähigkeit, mit wenig Kraft zur Stabilisierung dieses Bewegungsausmaßes, ein erhöhtes Verletzungsrisiko. Die Rumpfstabilität ist ein kritischer Erfolgsfaktor. Sind die Rumpfmuskel zu schwach, funktioniert die Kraftübertragung nicht und das Verletzungsrisiko steigt.

Wer benötigt welche Maßnahmen?

Wie so oft gibt es keine einfache Antwort auf diese Frage. Natürlich hat ein Top-Sportler ein anderes Anforderungsprofil wie ein Untrainierter. Ein Ausdauersportler benötigt ein anderes Ergänzungstraining als ein Rückschlagsportler. Eine Balletttänzerin muss beweglicher sein als ein Kraftsportler. Ein Bauarbeiter braucht während der Arbeit mehr Kraft als ein Büroangestellter.

All diese Aspekte muss der Experte in seinen Ergebnissen berücksichtigen und ein Fazit daraus ziehen. In einem gemeinsamen Gespräch wird dann ein Maßnahmenkatalog erstellt und individuell angepasst, um Problemzonen Schritt für Schritt zu verbessern. Ziel ist, die eigenen Schwächen zu kennen, Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen, das Verletzungsrisiko zu senken und die Effizienz und Leistungsfähigkeit des Körpers zu steigern. Dies gelingt vor allem, wenn das Kollektiv von Beweglichkeit, Dehnfähigkeit, Stabilität, Kraft und Ausdauerleistung in einem guten Verhältnis zueinander stehen.