Leben ala Carte 1603

Für das Leben (gern) wandern

Man darf nicht vorher sterben!“, antwortet der Sarde Igino Porcu auf die Frage, wie man 102 Jahre alt wird. Die Strategie des 97jährigen Fritz Meier, um 100 zu werden, lautet: „Günstig wäre jedenfalls, wenn ich mir Aids einfangen würde“.

 

Illustration: Peng
Illustration: Peng

 

Denn Aidskranke haben ab dem Zeitpunkt der Infektion noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von 5 Jahren. Eine gute Vision für einen 97jährigen.

Die Statistik liefert uns aufschlussreiche Zahlen, wenn sie auch oft von wenig realem Nutzen sind. Beliebte Studienobjekt, wenn es um die Lebenserwartung geht, sind logischerweise über 100jährige. Hatte vor 30 Jahren der Libanon (Zeyer: Das Geheimnis der Hundertjährigen) weltweit die höchste Dichte an 100jährigen, so ist es aktuell Sardinien. Auffällig ist auch, dass hier, wie nirgends sonst auf der Welt, die Männer gleich alt wie die Frauen werden. Die „Übersterblichkeit“ des Mannes hat handfeste biologische Ursachen. Da sind einerseits der angeborene Gendefekt, das Y-Chromosom, und andererseits das Testosteron. Getrieben vom Sexualhormon leben Männer aggressiver, riskanter und insgesamt ungesünder. Obendrein beschleunigt das Testosteron den Stoffwechsel. Die damit verbundene Leistungssteigerung verschleißt den Organismus rascher. Die effektivste Anti-Aging Strategie für den Mann wäre daher die Kastration!

Der deutsche Bevölkerungswissenschafter Mark Luy kommt in aktuellen Studien zum Ergebnis, dass neben der Biologie auch das soziale Verhalten eine Rolle spielt. Männer, die femininer leben, die sich in die Kindererziehung einbringen, im Haushalt helfen und nicht fremdgehen, nutzen ihr Potential an Lebensjahren fast so gut wie Frauen.

Ein Faktum tritt in allen Studien prominent hervor. Ballungszentren für über 100jährige liegen immer im Gebirge. Das Leben dort ist geprägt von kargem Essen, wenig Fleisch, wenig Alkohol, arbeiten und Bewegung im Gelände bis ins hohe Alter. Es gilt sogar: Je steiler, desto länger das Leben.

Die meisten Investitionen in die Unsterblichkeit kosten uns das gute Leben. Bergsteigen, um gesund alt zu werden, ist vergleichsweise attraktiv. Klingt fair!

Veröffentlicht in Essay