Nicht der Gipfel ist das Zielsondern die gesunde Rückkehr

Gerlinde Kaltenbrunner im Interview

Bei Deinen Veranstaltungen animierst Du die Leute, die Wanderschuhe zu schnüren. Worin liegt der Wert des Wanderns?
Wandern ist der perfekte Ausgleich zum turbulenten Leben, das einfachste Mittel, um zur Ruhe zu kommen. Man bewegt sich in der Natur und schöpft mental und körperlich Kraft. Obwohl man sich anstrengt, kommt sehr viel Kraft zurück. Speziell wenn Wasser, Bäche, Seen im Spiel sind, gelingt das Abschalten am besten. Um die Heilkraft des Waldes weiß man sowieso. Das ist mein Feeling beim Wandern und das möchte ich den Leuten vermitteln. Die ganzen physiologischen Wirkungen wie Blutdrucksenkung, Stärkung des Immunsystems, etc. spare ich mir an dieser Stelle.

 

Am Lobuche Eas

 

Ganz ehrlich, ist Wandern für eine Extrem­bergsteigerin denn überhaupt ein Thema?
Naja, einerseits ist Wandern immer dabei, z.B. beim Zustieg zum Klettern. Am Hochkönig brauche ich 1,5 Stunden bis zur Kletterroute, das ist ein ideales Aufwärmen. Bei Expeditionen sind es oft zehn Stunden pro Tag bis zum Etappenziel. Aber auch in Phasen des Trainings lege ich Wandertage zur Regeneration ein.

Wenn man die gesamte Palette des Bergsports betrachtet, kann man da eine Königsdisziplin aus-machen? Anders gefragt, wer ist der beste Bergsportler, der Kletterer oder der Everestbesteiger?
Grundsätzlich gibt es überall Topathleten, die auf hohem Niveau performen. Für mich wäre der perfekte Bergsportler der Allrounder. Da gibt es eine Handvoll, die man eher nicht kennt. Das Training fürs Bergsteigen und Klettern passt ja nicht zusammen, das beißt sich ja, da die körperliche Beanspruchung sehr unterschiedlich ist. Die Frage nach der Königsdisziplin ist schwierig zu beantworten, aber die Königsklasse ist wahrscheinlich schon das Bergsteigen in großer Höhe. Ein Schwierigkeitsgrad von 8A und 8.000 Meter Höhe sind eine dramatische Paarung. Eine schwierige Route unter unwirtlichen Bedingungen, Sauerstoffmangel, Kälte. Sturm, nach einer Nacht im Biwak zu klettern, und dabei ganz fokussiert zu bleiben, ist ein hoher Anspruch. Wenn Du beim Klettern ein Problem hast, kannst Du Dich abseilen, wenn Du beim Marathon nicht mehr kannst, kannst Du stehen bleiben. Auf 8.000 Meter in der Wand gibt es kein Ausstiegsszenario.

Man kann ja nicht einmal den Gipfelsieg feiern, weil man zwar am Gipfel, aber noch nicht am Ziel ist.
Ja, das verlangt extrem viel Disziplin, denn nicht der Gipfel ist ja das Ziel, sondern die gesunde Rückkehr. Als ich nach sieben Versuchen endlich erfolgreich am K2 stand, dem letzten der vierzehn Achttausender, und mein großes Lebensziel erreicht hatte, überkamen mich unglaubliche Gefühle, aber da musst Du ganz bei Dir bleiben, denn erfolgreich bist Du erst, wenn Du gesund im Tal bist.

 

Anmarsch zum K2 / Aufstieg am K2 Nordpfeiler

 

Kommt man aus der Karriere als Extrembergsteigerin ohne körperlichen Schaden heraus?
Ich glaube, mit entsprechender Disziplin und einem ausgeprägten Gefühl für den eigenen Körper und die eigenen Grenzen geht das schon. Man muss in ständiger Verbindung mit seinem Körper sein. Ich hatte nie Höhenkrankheit und ich wäre nie bereit gewesen, eine abgefrorene Zehe zu opfern für den Erfolg. Man muss sich topfit halten, auf die Ernährung achten und bei Beschwerden die richtigen Experten, wie zum Beispiel die der Sporttherapie (lacht), zu Rate ziehen.

Wieviel Entbehrung braucht es denn, um solch extreme Ziele zu erreichen?
Ich habe nie empfunden, dass ich Entbehrungen erdulden müsste, Da hätte ich aufgehört. Was es aber schon braucht, ist eben viel Disziplin und klare Strategien.

 

Am Gipfel des K2

 

Wie schwierig ist es, vor dem Gipfel umzukehren?
Die Kernfrage des Extrembergsteigers entscheidet über Leben und Tod. Ich habe am Lhotse umgedreht, weil es mir zu heiß wurde. Für den Everest habe ich zwei Versuche gebraucht, und am K2 letztlich sieben Versuche. Aber mir war es eben keine abgefrorene Zehe wert, einen Gipfel zu besteigen. Außerdem habe ich mir auch eigene Regeln gegeben. Wenn ich es ohne Flaschensauerstoff und Trägern nicht geschafft hätte, hätte ich es gelassen.

Wenn man seinen Lebenstraum erreicht hat, bleiben dann noch attraktive Erfahrungen über?
Absolut ja. Man wird sich ja unter Extrembedingungen seiner Vergänglichkeit bewusst. Daraus ergibt sich für mich der Schluss, alles was jetzt noch kommt, ist eine Draufgabe. Alle 8.000er zu besteigen, war mein Lebenstraum. Dann definierst Du dich neu. Eine schöne Skitour ist ein erfüllter Tag. Ich bin dankbar, für alles, was ich erleben durfte und was noch vor mir liegt.