Kinder, Kinder!

Der Kreuzbandriss macht Schule. Kinder sind immer häufiger betroffen.

DDr. Elisabeth Abermann, FA für für Orthopädie und TraumatologieA. o. Univ. Prof. Dr. Christian Fink - Genkpunkt
Text: DDr. Elisabeth Abermann und A.O. Univ. Prof. Dr. Christian Fink

Beim Schulschikurs auf einer Eisplatte in Rückenlage geraten und gestürzt…in der Pause beim Fangen spielen geschubst und über einen Hügel gestolpert…beim Fußballspiel mit zu viel Einsatz um den Ball gekämpft – so schnell reißt ein Kreuzband beim Kind.

Nach anfänglichen Schmerzen und Schwellung des Kniegelenks erholen sich Kinder nach einer Verletzung oft relativ schnell wieder. Ein Gelenkserguss im Kindesalter darf aber nicht bagatellisiert werden. Wenn das Knie auslässt, ist das absolut ernst zu nehmen und muss unbedingt abgeklärt werden. Die Folgen eines instabilen Kniegelenks sind deutlich gravierender als die eines Knochenbruchs. Dieser heilt mit hoher Wahrscheinlichkeit folgenlos aus während eine bleibende Instabilität nach Riss des vorderen Kreuzbandes die Entwicklung einer frühzeitigen Arthrose bedingen kann.

Über die letzten Jahrzehnte nahm bei den Kreuzbandrissen der Anteil von Kindern und ­Jugendlichen zu. Das ist einerseits sicherlich durch bessere Diagnosemöglichkeiten zu erklären, aber auf der anderen Seite auch durch die immer frühere Fokussierung der Kinder auf eine bestimmte Sportart und einseitiges Training. Die Risikofaktoren für eine Verletzung des vorderen Kreuzbands beim Kind oder Jugendlichen sind ebenso unklar wie im Erwachsenenalter. Bekannt ist, dass in der frühen Kindheit Buben ein etwas höheres Risiko haben, während in und unmittelbar nach der Pubertät Mädchen gefährdeter sind.

 

Operieren oder nicht operieren – das ist die Frage

Man nimmt an, dass 50 von 100.000 sportlich aktiven Kindern sich einmal das Kreuzband reißen. Das stellt uns Mediziner vor ein Dilemma: Operieren oder nicht? Die Wachstumsfugen im kindlichen Knie sind noch offen, eine Verletzung im Zuge des Eingriffs kann zu Wachstumsstörungen führen. Deshalb wurden früher und werden auch heute noch Operationen mit der Empfehlung Risikosportarten zu meiden, lange Zeit hinausgezögert. Aber kann man einem Kind sagen, dass schnelle Richtungswechsel, Kontaktsport und Stop and Go Bewegungen tabu sind? Man kann, aber es bedeutet den Ausschluss aus dem Turnunterricht, teilweise aus dem Musikunterricht, ein Verbot an Aktivitäten im Schulhof in der Pause mitzumachen und auch in der Freizeit ist nahezu alles verboten. Die absolute Risikominimierung führt zu sozialer Isolation und dementsprechend schlechter Akzeptanz.

Die medizinischen Folgen sind oft schon in jungen Jahren Meniskus- und Knorpelschäden durch das instabile Kniegelenk. Eine konservative Therapie mit Physiotherapie und Zuwarten ist nicht prinzipiell falsch, macht aber eine engmaschige Überwachung notwendig, um Folgeschäden zu verhindern. Daher geht die Tendenz aktuell eher zu einer frühzeitigen Operation „mit spezieller Berücksichtigung der Wachstumsfugen“. Das bedeutet, dass ein Kind nicht auf dieselbe Weise operiert werden kann wie ein Erwachsener und nach Möglichkeit ein Spezialist für Kniechirurgie mit Erfahrung in kindlicher Kreuzbandchirurgie den Eingriff durchführen soll.

 

 Der Kreuzbandriss macht Schule. Kinder sind immer häufiger betroffen.

 

Wie beim Erwachsenen wird auch ein Kreuzbandriss beim Kind mit einer sogenannten Bandersatzplastik versorgt. Im Zuge eines minimalinvasiven Eingriffs wird eine Sehne aus dem Oberschenkel entnommen und das Knie damit stabilisiert. Allerdings ist beim Kind nicht jedes Transplantat geeignet – es darf kein Knochenblock vorhanden sein, der die Wachstumsfuge kreuzen würden, da dies zu einem vorzeitigen Verschluss der Fuge führen kann. Außerdem muss bei der Positionierung der Bohrkanäle die Richtung so gewählt werden, dass die Querschnittsfläche auf Höhe der Fuge minimiert wird und die Fixationsart muss so gewählt werden, dass die Fuge nicht tangiert wird. Aufgrund des hohen Wiederverletzungsrisikos im Kindes- und Jugendalter (bis zu 30% Wiederverletzung vor dem 20. Lebensjahr) kommen häufig zusätzliche Eingriffe auf der Außenseite des Kniegelenks dazu, die das Risiko für ein Aushaken des Kniegelenks verringern und vor allem in der Einheilungsphase die Zuglast am Transplantat reduzieren. Aber auch hier ist nicht jede Operationsmethode bei offenen Wachstumsfugen geeignet.

Europäische Datensammlung

Um künftig bessere Aussagen treffen zu können, hat die ESSKA – die Europäische Gesellschaft für Sporttraumatologie, Kniechirurgie und Arthroskopie – vor 2 Jahren ein Register gegründet, in das sämtliche Daten zu kindlichen Kreuzbandverletzungen eingespeist werden sollen. In Österreich nimmt die Praxis Gelenkpunkt als einzige Institution teil. Mit Einwilligung der Eltern und Kinder werden diese bis zum abgeschlossenen Wachstum überwacht und die erhobenen Daten anonymisiert in die europäische Datenbank weitergeleitet. Das Ziel ist nicht nur die Behandlung zu verbessern, sondern auch zu beobachten, wo man eventuell präventiv ansetzen kann, wie häufig Wachstumsstörungen wirklich auftreten, wie eine kindgerechte Rehabilitation angelegt werden soll und wie das Wiederverletzungsrisiko minimiert werden kann.