Sollbruchstelle

Die Verletzung des vorderen Kreuzbandes im alpinen Ski(renn)sport

A. o. Univ. Prof. Dr. Christian Fink - Genkpunkt
Text: A.O. Univ. Prof. Dr. Christian Fink

Auch wenn wir noch nicht genau wissen wie die kommende Wintersportsaison ablaufen wird, werden wir sowohl im Breiten- als auch im Spitzensport wieder mit Verletzungen des vorderen Kreuzbandes konfrontiert sein, sobald die ersten Sportler die Pisten herunterwedeln. Das Knie und insbesondere das vordere Kreuzband hat sich über Jahre als verletzungsanfälligste Struktur im Skisport „etabliert“. Mit der Entwicklung des Materials sind Knöchelverletzungen – durch bessere Skischuhe – und Unterschenkelbrüche – durch verbesserte Sicherheitsbindungen – deutlich geringer geworden, dafür endet seit Jahren die Belastungsspitze im Skisport nun am Kniegelenk.

 

Foto: Fischer sport

 

Im Breitensport beträgt die Zahl der Kreuzbandverletzungen etwa 0,20 pro 1000 Skitagen. Im alpinen Skirennsport verletzen sich etwa 5 von 100 Athleten pro Saison am vorderen Kreuzband. Gefühlt werden die Kreuzbandverletzungen jedes Jahr mehr, wobei sich das statistisch nicht belegen lässt. Die Zahl der Skisportler, die sich auf den Pisten bewegen, nimmt immer noch zu. Im Spitzensport muss man aufgrund der relativ kleinen Gesamtkollektive mit Statistik ohnedies immer aufpassen. Nicht zuletzt durch die mediale Verbreitung entsteht sofort der Eindruck, dass es „heuer besonders schlimm ist“, wenn sich zufällig hintereinander zwei oder drei bekannte Sportler verletzen. Doch auch wenn die Zahlen insgesamt nicht steigen, sind sie immer noch hoch genug und ist eine Reduktion des Verletzungsaufkommens für das Kreuzband leider auch nicht in Sicht.

Vor allem im alpinen Skirennsport wird intensiv geforscht. Die FIS versucht mit Regelanpassung im Bereich des Materials (Skitaillierungen und Längen, Bindungshöhen und Vorgaben betreffend der Skischuhe) und mit Vorgaben bezüglich Streckenführung, Torabständen und Gestaltung von Sprüngen einzuwirken. Auch die internationalen Skiverbände bemühen sich, ihre Athleten mit neuen Trainingsformen noch besser auf die Belastungen vorzubereiten.

Anders als bei Ballsportarten, sind präventive Maßnahmen nicht in diesem Ausmaß wirkungsvoll. Während sich etwa im Frauenbasketball durch Training der Rumpf-, Hüft- und Oberschenkelmuskulatur das Verletzungsrisiko am vorderen Kreuzband nahezu halbieren lässt, sind ähnliche Zahlen im Skirennsport leider eine Wunschvorstellung. Gerade im hohen Leistungsbereich sind die Athleten körperlich an den Grenzen ihrer Trainierbarkeit angelangt. Im Breitensport mit niedrigerem Leistungsanspruch kann dagegen eine gute körperliche Fitness durchaus das Verletzungsrisiko senken.

Die Verletzungsmechanismen im Skisport sind zudem multifaktoriell. Nicht nur, dass die Anforderungen des Materials die Ansprüche an den Bewegungsapparat schlichtweg „überschreiten“, tragen äußere Einflüsse wie Schneebedingungen, Licht- und Wetterverhältnisse das ihre dazu bei. Je nach Verletzungsmechanismus und Ausmaß der Krafteinwirkung kann es zu mehr oder weniger schweren Zusatzverletzungen kommen. Hier sind vor allem die Menisken des Kniegelenks, Innen- und Außenbänder und auch der Gelenkknorpel betroffen. Eine „isolierte“ Verletzung des Kreuzbandes ist eher eine Seltenheit. Für den Betrachter sind die Verletzungsmechanismen oft sehr unspektakulär. Häufig kommen Athleten nicht einmal zu Sturz. Eine kleine „Kraftspitze“ für wenige Millisekunden reicht, um den Schaden anzurichten. Der Läufer schwingt ab und greift sich schmerzverzerrt aufs Knie. Selbst für den Experten ist es oft schwierig, anhand von Videoanalysen den exakten Zeitpunkt des Risses festzustellen. Auch im Breitensport reißt ein Kreuzband oft sehr „unscheinbar“. Es braucht bei weitem nicht die wohl noch gut erinnerlichen spektakulären Stürze von Aksel Lund Svindal oder Georg Streitberger in Kitz­bühel 2016.

Prinzipiell kann man drei Hauptmechanismen finden, die zu einer Verletzung des vorderen Kreuzbandes führen können

  • Schuh- induzierter Vorschub des Unterschenkels
    Dies tritt beim Landen nach einem Sprung auf, vor allem dann, wenn die Landung im flacheren Gelände ist. Durch leichte Rücklage setzten die Enden der Skier zuerst auf, der Skischuh drückt den Unterschenkel nach vorne und die Oberschenkelmuskulatur spannt sich maximal an, um ein „hinten Absitzen“ zu verhindern. Dabei können Kräfte entstehen, die jenseits der ca. 2000 N hohen Reissfestigkeit des vorderen Kreuzbandes liegen. Je weiter der Unterschenkel dabei nach vorne geschoben wird, umso grösser wird auch das Risiko einer zusätzlichen Meniskusverletzung (Abb. 1 a-c). Im Rennlauf wird deshalb größter Wert darauf gelegt, dass Sprunglandungen im steilen Gelände liegen. Durch Änderung der Schneeverhältnisse, verbunden mit Änderungen in der Anfahrtsgeschwindigkeit zu einem Sprung, können sich aber Sprungweite oder Höhe von einem Lauf zum anderen ändern. Das kann dazu führen, dass die gut berechnete Landung dann doch plötzlich im Flachen liegt. Auch im Breitensport kommt das vor, vor allem dann, wenn (überwiegend) Väter ihre Kinder im Funpark mit für sie nicht wirklich konzipierten Sprüngen („Kickern“) beeindrucken wollen. Dabei kann auch schon mal eine simultane, beidseitige Verletzung des vorderen Kreuzbandes vorkommen.

 

Schuh- induzierter Vorschub des Unterschenkels

 

  • Valgus – Innenrotationsmechanismus
    Die verstärkte X-Beinstellung, verbunden mit einer forcierten Rotation des Unterschenkels, ist wohl die häufigste Ursache für einen Kreuzbandriss. Im Skirennsport betrifft dies vor allem die technischen Disziplinen (Slalom und Riesentorlauf). Häufig beginnt das Problem mit einem Fahrfehler oder einer Bodenwelle, die zu verstärkter Rückenlage führt. Dann wird der InnenSki kurzzeitig mehr belastet, gefolgt von einem plötzlichen „Greifen“ der Innenkannte des Außen-Skis, was zur forcierten Innenrotation des Unterschenkels führt (Abb.2 a-c). Wesentlich seltener kann der Verletzungsmechanismus auch mit einer verstärkten Vorlage beginnen. Je ausgeprägter dabei die Kräfte sind, umso eher entstehen Zusatzverletzungen: Erhöhte Rotation – Meniskus und Kapselverletzungen, erhöhte Valgusbelastung – Innenbandverletzungen.

 

Valgus – Innenrotationsmechanismus

 

  • Valgus – Außenrotationsmechanismus
    Dieser kommt im Rennsport seltener (praktisch nur beim „Einfädeln“), im Breitensport dafür – gerade beim Skianfänger – umso häufiger vor und ist mit einem „nach-vorne-Fallen“ verbunden. Dabei treten neben dem Riss des Kreuzbands oft auch Verletzungen des Innenbands auf (Abb. 3 a-c).

 

Valgus – Außenrotationsmechanismus

 

Die schlechte Nachricht ist also, dass wir auch in dieser Saison wieder zahlreiche Kreuzbandverletzungen sehen werden. Die gute Nachricht ist, sollten Sie unter Umständen selbst betroffen sein, diese Verletzungen lassen sich heute wirklich gut behandeln. In einem sehr hohen Prozentsatz ist nach operativer Versorgung und entsprechend konsequenter physikalischer Therapie und Training, eine Rückkehr auf ein ähnliches Leistungsniveau, wie vor der Verletzung, möglich. Für den Hobbysportler gilt es in Hinblick auf die kommende Saison die Zeit gut zu nützen, und die Muskultur und Fitness auf „Weltcup Niveau“ zu bringen. Wenn Sie dann nicht auf Weltcup Niveau fahren, haben Sie eine gute Voraussetzung, verletzungsfrei durch den Winter zu kommen.