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In den Pausen werden wir besser?

Der Leitsatz des Superkompensationsmodells hat ausgedient. Es lebe das Signaltransduktionsmodell!

Jürgen Weineck
Text: Jürgen Weineck und Josef Wiesauer

Das Modell der Superkompensation wurde 1967 von Jakowlew in der russischen Trainingswissenschaft erstmals vorgestellt und im Westen in den 70er Jahren von Harre, Letzelter, Weineck etc. übernommen. Es galt als universelles Erklärungsmodell dafür, wie Training wirkt: Bei Belastung werden die muskulären Glykogenspeicher verbraucht. In der nachfolgenden Erholungsphase kompensiert der Organismus nicht nur das verbrauchte Glykogen, sondern überkompensiert. Durch die ständige Wiederholung dieses Prozesses werden die verfügbaren Reserven sukzessive vergrößert; eine Leistungssteigerung ist die Folge. Dieses Modell wurde zum allgemeinen Gesetz formuliert, weil es einfach und anschaulich war. Der simple Duktus der Superkompensation, “In den Pausen werden wir besser“, gilt jedoch ausschließlich für die Glykogenreserven.

Für funktionelle, kognitive und andere organismische Leistungssteigerungen liefert das Superkompensationsmodell keine taugliche Erklärung. Es entbehrt jeder experimentellen Überprüfung und beschreibt nur einen Anpassungszeitverlauf, gibt aber keinerlei Auskunft über die zugrunde liegenden Mechanismen. Tatsächlich wird der Herzmuskel schon während der Belastung stärker. Das wurde durch Elektrostimula­tion bewiesen. Kapillaren werden während der Belastung neu gebildet. Die Knochen adaptieren ebenfalls schon während der Belastung. Die Osteozyten werden mehr und richten sich, entsprechend der Belastung aus. Die Mitochondrien nehmen zwar während der Belastung ab, aber die Resynthese beginnt schon während der Belastung. Ob die Hyperkompensation für die Kreatinphosphate so abläuft, wie für das Glykogen ist unklar.

 

In den Pausen werden wir besser?

 

Das Signaltransduktiosnmodell erklärt den Adaptionsvorgang auf wissenschaftlich fundierter Basis und zeigt dabei die zugrunde liegenden hochgradig komplexen Mechanismen auf. Der Begriff wurde erstmalig in den späten 1970er Jahren von Biologen benutzt und fand erstmals 1980 durch  den Übersichtsartikel von M. Rodbell („The role of hormone receptors and GTP-regulatory proteins in membrane transduction“ in Nature 1980, 17-22) allgemeine Verbreitung in die Biologie und Medizin. Erst in den letzten Jahren fand der Begriff schließlich Eingang in die Trainingswissenschaft.

Die Adaptationsmechanismen erfolgen in drei Schritten:

  1. Sensorproteine messen Sauerstoff, Kalzium, Glykogen mechanische Spannung, Hormonkonzentration, etc. Sie sind sozusagen Augen und Ohren der Zelle. 
  2. Hunderte oder Tausenden solcher Proteine leiten die Informationen weiter, analysieren und verstärken und bewerten sie.
  3. Die Signalproteine aktivieren Effektorproteine, die die Anpassungsprozesse, wie Proteinsynthese, Zellwachstum, letztlich die Anpassung auslösen und dadurch zu einem höheren Leistungsniveau führen.

Das Signaltransduktionsmodell hat nun auch Eingang in der 17. Auflage (2019) der Trainingslehrebibel „Optimales Training“ von Univ. Prof. Dr.Dr.Dr. Weineck Eingang gefunden.

 

Dr. Michael Gabl und Prof. DDr. Weineck beim Interdisziplinären Symposium des Instituts für Sporttherapie in Wels
Dr. Michael Gabl und Prof. DDr. Weineck beim Interdisziplinären Symposium des Instituts für Sporttherapie in Wels

 

Herr Prof. Weineck, wird die Trainingslehre gerade neu geschrieben?
Eigentlich wird sie jeden Tag neu geschrieben. Es ist das besondere Verdienst von Prof. Wackerhage (München), der seit geraumer Zeit das neue Modell flächendeckend für die Sportwissenschaft verbreitet. Allerdings wird es wohl eine Weile dauern, bis sich das neue Modell allgemein in der Sportstudenten-, Trainer- und Übungsleiterausbildung durchsetzen wird, da das Signaltrans-duktionsmodell viel komplexer und damit schwerer verständlich ist als das Superkompensationsmodell. 

Was bedeutet das neue Adaptationsmodell für die Praxis?
Das Training muss viel spezifischer werden, die Spezialisierung noch extremer. Der Spalt zwischen Spitzensport und Gesundheitssport wird noch größer. Der Satz von Brecht. „Da wo der Spitzensport beginnt, hat er längst aufgehört  gesund zu sein“, charakterisiert diese Divergenz in treffender Weise. Denn jede Zelle adaptiert zell- und reizspezifisch. Die Reaktion auf unterschiedliche Reize ist viel spezifischer, als wir annahmen. Höhentraining zum Beispiel erzeugt ganz einzigartige Signalproteine. Damit das Training auf allen drei Stufen wirkt, muss es spezifischer, spezifischer, spezifischer und härter, härter, härter sein. 

Wo geht die Reise hin?
Das Buch der Trainingslehre ist jedenfalls wieder weit offen. Um in der Zukunft weltweit weitere Leistungssteigerungen erzielen zu können, müssten länderübergreifend stets alle neuen Erkenntnisse zusammengeführt und effektiv in der Trainingspraxis umgesetzt werden. Ein Wunsch, ein Traum. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Wer verrät schon sein Erfolgsgeheimnis?!

Nur der kreative, innovative Trainer in Kooperation mit einem mündigen Athlet wird in der Zukunft Erfolg haben, da die Praxis der Theorie immer um Jahre voraus ist!