Leben ala Carte 1804

Sündenbock und Knorpelschützer

Der Meniskus macht sich wichtig

Dr. Florian Dirisamer - Orthopädie und Sportchirurgie, Puchenau bei LinzA. o. Univ. Prof. Dr. Christian Fink - Genkpunkt
Text: Florian Dirisamer und A.O. Univ. Prof. Dr. Christian Fink

Mein Knie tut weh, ich glaube mein Meniskus ist kaputt!“, ist eine häufige Selbstdiagnose unserer Patienten. In der Tat ist der Meniskus, oder besser die Menisken – denn es sind ja zwei – oft nicht ganz „unschuldig“ an so manchem Knieproblem.

Während noch vor etwa 100 Jahren die Menisken des Kniegelenks als funktionslose Überreste eines Muskels angesehen wurden, ist ihre Bedeutung für die Integrität und Funktion des Kniegelenks heute aktueller denn je.

 

Sündenbock und Knorpelschützer – Leben Ala Carte 1804

Anatomie

Die Menisken sind keilförmige Strukturen, die zwischen den Gelenkflächen des Oberschenkelknochens und des Schienbeins liegen. Sie sind mit ihrem dickeren, äußeren Rand mit der Gelenkskapsel verwachsen, während der zentrale, ins Gelenk ragende dünne Rand ohne Anheftung ist. Zusätzlich sind sie vorne und hinten mit Bändern fest mit der Gelenkfläche des Schienbeins verwachsen. Trotz vieler Gemeinsamkeiten weisen Innen- und Außenmeniskus auch Unterschiede auf.

Der innere (meddiale) Meniskus ist etwa halbmondförmig, beim Erwachsenen etwa 3,5 cm in seiner Ausdehnung und im hinteren Anteil breiter als vorne. Er ist fest mit dem inneren Seitenband verwachsen.

Der äußere (laterale) Meniskus ist annähernd kreisrund, gleichmäßig breit und bedeckt einen größeren Teil (ca. 80%) der Gelenkfläche als der Innenmeniskus (ca. 60%). Im Unterschied zum Innenmeniskus besitzt der Außenmeniskus keinerlei direkte Verbindung zum äußeren Seitenband.

Die Menisken bestehen zu etwa 75% aus Wasser, zu 20% aus Kollagenfasern und einem kleinen Anteil von Zellen. Dieses Gewebe wird auch als „Faserknorpel“ bezeichnet und ist im Gegensatz zum „Gelenksknorpel“ weicher. Dadurch sind die Menisken ideale Stoßdämpfer, die die Belastung aufnehmen und an den Gelenksknorpel weitergeben. Die Kollagenfasern formen dabei kräftige zirkuläre Bündel, die von vorne nach hinten verlaufen und für die Funktion des Meniskus unter Belastung verantwortlich sind. Zwischen diesen Faserbündeln verlaufen radiär orientierte Verbindungsfasern. Im Falle einer Meniskusverletzung entstehen dadurch typische Rissmuster.

Die Menisken besitzen ein spezielles Gefäßversorgungssystem, welches in großem Maße ihre Fähigkeit zu Regeneration und Heilung bestimmt. Dadurch wird eine randständige Durchblutung von nur 10 bis max. 30% der Menisken gewährleistet. Der weitaus größere Prozentsatz der Menisken ist ohne Durchblutung und eine Ernährung wird ähnlich der des Gelenksknorpels, durch Diffusion und mechanische Pumpfunktion gewährleistet. Eine echte Heilung im Falle einer Meniskusverletzung ist nur bei Rissen in der durchbluteten Zone möglich.

 

Laterales Gelenkfach bei fehlendem Außenmeniskus / das selbe Knie nach der Transplantation
Laterales Gelenkfach bei fehlendem Außenmeniskus / das selbe Knie nach der Transplantation

Biomechanik

Die Menisken verbessern die Kongruenz der gekrümmten Gelenkflächen des Oberschenkels und der flachen Gelenkfläche des Schienbeins. Dies führt zu einer deutlichen Erhöhung der Kontaktfläche und dadurch zu einer wesentlichen Reduktion und Verteilung der auf den Gelenksknorpel wirkenden Belastung. So werden etwa 50 bis 70% der auf das Kniegelenk wirkenden Belastung von den jeweiligen Menisken aufgenommen. Werden die Menisken oder auch nur Teile davon entfernt, kommt es zu einer deutlichen Abnahme der Kontaktfläche und damit verbunden zu lokalen Belastungsspitzen am Gelenksknorpel. Auch ein gerissener Meniskus kann keine Lastübertragung gewährleisten.

Neben der Lastverteilung kommt den Menisken eine wichtige, gelenksstabilisierende Wirkung zu, welche vor allem bei Bandverletzungen (z. B Riss des vorderen Kreuzbandes) zunehmende Bedeutung für die funktionelle Integrität des Kniegelenks erlangt. Die Menisken bilden also mit dem Gelenkknorpel eine funktionelle Einheit, wobei die Menisken insgesamt als „Knorpelschützer“ angesehen werden können.

Behandlung von Meniskusverletzungen

Vor allem vor der generellen Verbreitung der arthroskopischen Chirurgie (Anfang der 80-iger Jahre), die es ermöglicht, mittels kleiner Schnitte (ca. 1cm) und einer Kamera das gesamte Gelenk gut zu inspizieren, wurden die Menisken großzügig, nach Anlage eines Schnittes (ca. 4-5cm) mit einem speziellen „Menikusmesser“ entfernt.

Auch war zu diesem Zeitpunkt mangels diagnostischer Möglichkeiten der Meniskus der „Sündenbock“ für nahezu alle Knieschmerzen. Waren die Beschwerden nach Entfernung des inneren Meniskus nicht besser, wurde häufig auch der äußere entfernt. Heute ist man sich der Bedeutung der Menisken für ein gut und langfristig funktionierendes Kniegelenk bewusst und ein derartiges Vorgehen wäre undenkbar.

Mit moderner MRI Technik lassen sich Meniskusverletzungen sowohl in der Ausdehnung als auch genauen Lokalisation erkennen. Dies erleichtert die Behandlungsplanung ganz wesentlich.

Primär geht es darum festzustellen, ob wirklich die Meniskusverletzung für den Schmerz verantwortlich ist. Dazu müssen die Bildgebung (MRI) und die klinische Untersuchung gut übereinstimmen. Sind etwa zusätzlich bereits Knorpelschäden vorhanden, kann es sein, dass der Meniskusriss wenn überhaupt, nur einen sehr kleinen Teil des Problems darstellt. Ein operativer Eingriff sollte in diesem Fall gut überlegt sein. Denn auch nach einer arthroskopischen Meniskusoperation kann bei zusätzlich vorhandenem Knorpelschaden, nicht mit einer völligen Beschwerdefreiheit gerechnet werden.

Generell muss nicht jede Meniskusverletzung sofort operiert werden. Kleinere Risse können gelegentlich als „Zufallsbefund“ im Rahmen einer MRI Untersuchung entdeckt werden, ohne klinisch Beschwerden zu verursachen. Außerdem kann bei kleineren Rissen auch ein konservativer Therapieversuch mit physikalischer Therapie und entzündungshemmenden Medikamenten sinnvoll sein. Ist diese nicht-operative Ersttherapie nicht erfolgreich, kann immer noch operiert werden. Studien konnten eindeutig zeigen, dass ein verzögertes operatives Vorgehen das Ergebnis in keiner Weise negativ beeinflusst.

 

radiärer Riss / Korbhenkelriss / Papageienschnabelriss / horizontaler Riss / Wurzelriss / degenerativer Riss
radiärer Riss / Korbhenkelriss / Papageienschnabelriss / horizontaler Riss / Wurzelriss / degenerativer Riss

 

Große Meniskusrisse heilen jedoch nicht von selbst. Vor allem wenn zusätzlich mechanische Symptome (z.B. Einklemmungserscheinungen) oder Schwellungen als Folge mechanischer Reizungen auftreten, sollte man mit einem arthroskopischen Eingriff nicht allzu lange zuwarten.

Im Rahmen der arthroskopischen Operation werden ausschließlich die kaputten Meniskusregionen entfernt (Meniskusteilresektion). Es gilt immer der Grundsatz: „So wenig wie möglich, so viel wie nötig entfernen“.

Der Eingriff kann heute auch durchaus ambulant durchgeführt werden. Postoperativ sollte eine Schonung für etwa 2 Wochen unterstützt durch physikalische Therapie eingehalten werden.

Bei Rissen im Randbereich der Menisken, dort wo eine Gefäßversorgung vorhanden ist, wird unbedingt eine Erhaltung des Meniskus angestrebt („Meniskusrefixation“). Dazu gab es in den letzten Jahren zahlreiche neue Operationstechniken (z.B. Pfeile mit Widerhaken, resorbierbare Ankersysteme) die nach großer Euphorie teilweise aufgrund von Komplikationen wieder verlassen wurden. Heute sind dazu vor allem hochentwickelte Nahtsysteme im Einsatz. Die Nachbehandlung ist insgesamt deutlich länger als bei einer Teilresektion des Meniskus. Die Dauer der Entlastung sowie eine notwendige Limitierung des Bewegungsumfanges für einige Wochen sind von der Lokalisation, sowie von der Länge des Risses abhängig. Vor dem 6. postoperativen Monat sollte jedoch keine Rückkehr zu Sportarten, die eine hohe Anzahl von Rotationsbelastungen, Sprüngen und Stoppbewegungen (z.B. Fußball) aufweisen, erfolgen.

Aufgrund der Überlegung, dass durch fehlendes Meniskusgewebe die Belastung auf den Gelenksknorpel größer und somit die Entstehung eines Knorpelschadens und letztlich einer ausgedehnten Kniegelenksarthrose gefördert wird, ist in den letzten Jahren intensiv an Möglichkeiten des Meniskusersatzes geforscht worden. Es gibt dazu prinzipiell zwei Ansätze.

1. „Künstliche“ Meniskusimplantate
Ausgehend von einer Arbeitsgruppe aus den USA rund um den bekannten Kniechirurgen R. Steadman aus Vail, Colorado wurde bereits in den 90iger Jahren ein Meniskusimplantat (CMITM) entwickelt. Dabei werden Teile eines fehlenden oder zerstörten Meniskus mit diesem Implantat ersetzt. Die Operation ist technisch überaus anspruchsvoll. Die Nachbehandlung ist vergleichbar mit der einer Meniskusnaht. Die Ergebnisse sind jedoch nur zum Teil befriedigend, sodass die Euphorie für diese Behandlung wieder abgenommen hat. Neben diesem Implantat aus Rinderkollagen ist derzeit ein weiteres aus Polyurethan am Markt verfügbar. Durch die hohe Porosität können Zellen in das sehr langsam resorbierbare Material einwachsen und damit letztlich auch im weitesten Sinne biologisch einen Meniskusdefekt auffüllen. Unabhängig vom verwendeten Material müssen einige wesentliche Grundlagen (Defektgröße, intakte Meniskusaufhängung, Gesamtzustand des Gelenkes, Beinachse, …) erfüllt sein, damit eine derartige Operation möglich ist und Aussicht auf Erfolg hat. Insgesamt findet sich diese Indikation sehr selten.

2. Meniskustransplantation
Hier wird ein Meniskus von einem Organspender entnommen und anschließend transplantiert. Im Gegensatz zu Organtransplantationen besteht bei der Gewebetransplantation kein Risiko für Abstoßung und es müssen deshalb nicht lebenslang Medikamente eingenommen werden. Die MAT (Meniskus Allograft Transplantation) wird ebenfalls arthroskopisch und damit minimal invasiv durchgeführt. Besonders wichtig ist dabei die exakte anatomische Verankerung des neuen Meniskus, der in der Größe optimal passen muss. Dies geschieht einerseits durch eine Fixation am Schienbeinkopf über Bohrkanäle, andererseits durch Einnähen in der Kapsel – ähnlich wie bei der Meniskusnaht. Im Gegensatz zu lebenden Organen wie Herz oder Lunge, können Meniskustransplantate in Gewebebanken tiefgefroren gelagert werden. Die Operation bleibt also planbar, Patienten müssen nicht auf Abruf sein. Das Gewebesicherheitsgesetz stellt sicher, dass die Gewebequalität im Sinne des Empfängers höchsten Anforderungen entspricht und regelt die logistischen Abläufe. Damit ist gewährleistet, dass das Risiko des Eingriffs für die Patienten sehr niedrig ist. In Österreich werden pro Jahr etwa 15-20 Transplantationen in wenigen Zentren durchgeführt.