Das Leben ist eine Diät

Dem Manne ist die Hälfte seiner Strafe zu erlassen!“, entschied Kaiser Franz Joseph im Prager Pankraz-Gefängnis, als ihn ein Gefangener mit seiner militärischen Begrüßung und seinem charmanten Benehmen beeindruckte. Die großen Worte des Monarchen, gelassen ausgesprochen, brachten den Gefängnisdirektor in die Bredouille, denn der Mann war zu lebenslanger Haft verurteilt. Egon Erwin Kisch, der legendäre rasende Reporter des Prager Tagblattes fand eine salomonische Lösung: Einen Tag sitzen, einen Tag frei, einen Tag sitzen, …

 

Illustration: Peng
Illustration: Peng

Wieviel ist die Hälfte von lebenslang? Wir wissen den Durchrechnungszeitraum nicht. Das ist das Kernproblem jeder Lebensplanung. Wir müssen unseren Lebensstil wählen, ohne den entscheidenden Faktor wirklich zu kennen. Wir sparen, um fürs Alter vorzusorgen, ohne zu wissen, ob wir den Lebensabend im Wohlstand überhaupt erleben. Kein Mensch will seine Leber vererben. Dennoch müssen wir beim Alkoholkonsum maßhalten, um gesund zu altern. Zu einem gesunden Leben gehört Bewegung, trotzdem müssen wir mit unserem Bewegungsapparat haushalten.

Wir müssen täglich die Frage nach dem richtigen Leben beantworten. Wir müssen Maß halten, bei Zucker, Fett, Alkohol, beim Schlafen, beim Umgang mit Reizen, bei der Arbeit, beim Medienkonsum, im Sinne des altgriechischen „díaita“, einer ganzheitlich geregelten Lebensweise.
Immer wenn uns diese Verantwortung belastet, sollten wir uns bewusst machen: Die Last der Auswahl und des Maßhaltens ist jenen vorbehalten, die alles im Übermaß haben. Das Leben ist eine Diät! Für Privilegierte!

Veröffentlicht in Essay